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Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sich vorzustellen, wie Arbeitstrupps mitten im tiefen Schnee eine Trasse durch die Berge legten, Tausende Meilen von zu Hause weg, um die Armee zu befreien, für die es sonst keinen Ausweg gab. Er wagte nicht, an die Soldaten zu denken oder an die Inkompetenz, die zu einer solchen Situation geführt hatte.
    »Darüber hast du noch nie gesprochen«, sagte er.
    »Ich hatte keinen Anlass«, antwortete sie und unterdrückte erneut ein Gähnen. »Es waren alles unbezahlte Kräfte, aber ich glaube nicht, dass die Verhältnisse hier anders sind. Aber sieh's dir an. Prüf nach, ob es jemals einen Unfall gegeben hat, der durch schlechten Aushub oder mangelhafte Bauweise der Trasse verursacht wurde. Schau, ob du einen Tunnel findest, der eingebrochen, oder ein Viadukt, das eingestürzt ist, oder Schienen, die auf schlechtem Untergrund oder mit dem falschen Gefälle verlegt wurden, oder was die Streckenarbeiter sonst noch gemacht haben.«
    »Das werde ich«, meinte er. »Und jetzt geh zu Bett. Du hast getan, was du konntest.« Er legte seine Hand auf ihre. »Denk nicht an den Wucherer und die Frauen. Gewalt wird es immer geben. Du kannst sie nicht aufhalten; alles, was du tun kannst, ist, den Opfern zu helfen.«
    »Das klingt ziemlich jämmerlich!«, sagte sie wütend.
    »Wie bei der Polizei«, sagte er mit einem halben Lächeln. »Wir haben nie ein Verbrechen verhindert, immer nur hinterher die Täter gefangen.«
    »Du hast sie vor Gericht gebracht!«, wandte sie ein.
    »Manchmal, nicht immer. Tu das, was in deiner Macht steht. Blockiere dich nicht selbst, indem du über das verzweifelst, was du nicht erreichen kannst.«
    Sie lenkte ein, gab ihm noch rasch einen zärtlichen Kuss und taumelte dann ins Schlafzimmer.
    Monk verließ das Haus und fuhr in die Stadt, um nach den Informationen zu forschen, die ihm helfen würden, Katrina Harcus' Fragen zu beantworten. Er versuchte, sich zu konzentrieren, aber das Bild seiner eigenen Unterschrift auf dem Dokument von Baltimore und Söhne von vor siebzehn Jahren nagte wie ein dumpfer Zahnschmerz an ihm. Es fiel ihm nicht im Traum ein zu leugnen, dass es seine Unterschrift war. Er hatte sie zweifelsfrei wiedererkannt, die vertraute kühne Handschrift, energischer als heute, die zu dem Mann gehörte, der er einst gewesen war, noch bevor er einen genaueren Blick auf sich selbst geworfen und sich gefragt hatte, wie andere ihn wahrnahmen.
    Er ging zu dem Leiter einer Handelsbank, zu dessen Freude er ein kleines Familiengeheimnis gelöst hatte.
    »Baltimore und Söhne?« John Wedgewood hatte Mühe, seine Neugier zu verbergen. Sie saßen in seinem eichengetäfelten Büro. Auf dem Beistelltisch stand eine kristallene Karaffe, aber Monk lehnte den Whiskey ab. »Hoch geachtete Gesellschaft. Finanziell solide«, fuhr Wedgewood fort. »Eine große Tragödie, besonders für die Familie. Ich nehme an, die Familie hat Sie beauftragt zu ermitteln? Traut der Polizei nicht.« Er schürzte die Lippen. »Sehr klug. Aber Sie müssen sich sehr beeilen, wenn Sie einem Skandal zuvorkommen möchten.«
    Monk hatte keine Ahnung, wovon der Mann sprach. Es stand ihm wohl ins Gesicht geschrieben, denn bevor er noch die Zeit hatte, über eine Antwort nachzudenken, ging Wedgewood ein Licht auf.
    »Nolan Baltimore wurde in einem Londoner Bordell tot aufgefunden«, sagte Wedgewood und zog vor Abscheu, vielleicht sogar vor Mitleid, die Augenbrauen hoch. »Ich bitte um Verzeihung. Mein Schluss, man habe Sie gebeten, die Wahrheit herauszufinden, und zwar schneller als die Polizei, und diese dann um Diskretion anzuhalten, war wohl verfrüht.«
    »Nein«, antwortete Monk und wunderte sich einen Augenblick, warum er in den Schlagzeilen nichts darüber gelesen hatte, doch er wusste die Antwort, bevor er die Frage ausgesprochen hatte. Das war bestimmt der Mord gewesen, von dem Hester gesprochen hatte und der dazu geführt hatte, dass die Polizei in der Gegend um die Farringdon Street herumschwirrte, um eine aller Wahrscheinlichkeit nach hoffnungslose Suche durchzuführen. Die Presse würde den Grund für diese Aktivitäten zweifellos bald herausgefunden haben. Sie mussten nur einen der Bewohner fragen, dem das Ganze lästig genug war, und dann würde man die ganze Geschichte früher oder später ans Tageslicht zerren und gehörig aufbauschen.
    »Nein«, wiederholte er. »Ich interessiere mich für den Ruf der Gesellschaft, nicht für Mr. Baltimore persönlich. Wie gut ist ihre Arbeit? Wie fähig und rechtschaffen sind ihre

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