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Tod eines Fremden

Titel: Tod eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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immer begraben lassen wollte, war hin und her gerissen gewesen zwischen dem Zwang, sie zu erfahren, und der großen Angst, sie am Ende bestätigt zu finden, sodass es kein Albtraum mehr war, sondern die Wirklichkeit, der man niemals mehr ausweichen und die man niemals mehr leugnen konnte.
    Vergangene Nacht stieß ein Sonderzug, in dem sich rund einhundert Kinder befanden, die von einem Ausflug aufs Land in die Stadt zurückkehrten, mit einem Güterzug zusammen und entgleiste. Der Unfall ereignete sich auf der neuen, vor kurzem von Baltimore und Söhne eröffneten Eisenbahnstrecke in der Kurve hinter der alten St.-Thomas-Kirche, wo die Schienen auf etwa anderthalb Kilometern durch zwei Durchstiche nur einspurig verlaufen. Als ein schwerer, mit Kohlen beladener Güterzug kurz vor der Stelle, wo die Schienen zusammenlaufen, die Neigung herunterkam, schaffte er es nicht anzuhalten. Er stieß mit dem Personenzug zusammen und schleuderte diesen den Hang hinunter ins flache Tal. Durch das Gas von der Beleuchtung fingen viele Eisenbahnwagen Feuer. Schreiende Kinder waren darin gefangen und verbrannten oder wurden hinausgeschleudert. Etliche wurden unter den Trümmern eingeklemmt, viele wurden verstümmelt und zum Krüppel gemacht, und nur einige wenige entkamen mit einem Schock und blauen Flecken. Beide Zugführer wurden durch den Zusammenprall getötet, ebenso wie die Heizer und Bremser.
    Monk überflog die nächsten Absätze, in denen von den Rettungsversuchen und dem Transport der Verletzten und Toten in die nächste Ortschaft berichtet wurde. Danach folgte die Beschreibung des Kummers und Entsetzens der Verwandten und das Versprechen, die Sache gründlich zu untersuchen.
    Mit steifen Fingern und benommenem Kopf suchte er in den Ausgaben der folgenden Wochen und Monate, fand jedoch keine zufrieden stellende Erklärung der Unfallursache. Am Ende wurde der Unfall menschlichem Versagen seitens des Zugführers des Güterzugs zugeschrieben. Er lebte nicht mehr, um sich zu verteidigen, und niemand hatte eine andere Unfallursache zu Tage gefördert. Die Schienen waren sicher durch den Unfall aufgerissen und verbogen worden, und nichts deutete darauf hin, dass sie schon vorher fehlerhaft gewesen waren. Die mit Bauholz beladenen Güterzüge, die zuvor die Strecke befahren hatten, hatten keine Probleme gehabt und waren sicher und pünktlich an ihrem Ziel angekommen.
    Wie er bereits vom Sekretär erfahren hatte, waren die Schienen in Ordnung – es gab keine wie auch immer geartete Verbindung zu dem Betrug oder zu Dundas und daher auch nicht zu Monk.
    Mit überwältigender Erleichterung sagte er sich dies immer wieder. Er würde nach London fahren und Katrina Harcus versichern, dass es keinen Grund gab, auf der neuen Strecke einen Zusammenstoß zu befürchten. Baltimore und Söhne hatte nichts mit dem Unfall in Liverpool zu tun gehabt, und Baltimore selbst war in Dundas' Prozess von dem Vorwurf des Betrugs entlastet worden.
    Was nicht hieß, dass er unschuldig war.
    Aber wenn heute im gleichen Umfang wie damals beim Landkauf betrogen wurde, dann war es nicht abwegig, anzunehmen, dass Nolan Baltimore darin verwickelt war und nicht Michael Dalgarno. Das zumindest konnte Monk Katrina sagen.
    Im selben Augenblick wusste Monk, dass sie mehr fordern würde als Hoffnung, sie würde Beweise verlangen – ebenso wie er.
    Er ging zurück zum Bahnhof, wo er noch den Abendzug nach London erwischte. Er hatte fast den ganzen Tag gelesen und in der letzten Nacht wenig und schlecht geschlafen, und so wurde er trotz der Holzsitze und der unbequemen aufrechten Position von den rhythmischen Bewegungen des Zuges und dem Rattern der Räder in den Schlaf gelullt und in eine Dunkelheit getrieben, in der ihm die Geräusche umso bewusster waren. Sie schienen die Luft zu erfüllen und überall um ihn herum zu sein und immer lauter zu werden. Sein Körper war verkrampft, sein Gesicht prickelte, als wehte ein kalter Luftzug an ihm vorbei, und doch konnte er rote Funken in der Nacht sehen wie kleine Feuer.
    Es gab etwas, was er tun musste: Es war wichtiger als alles andere, selbst wenn er sein Leben dabei riskierte. Es beherrschte Geist und Körper, löschte alle Gedanken an seine eigene Sicherheit, körperliche Schmerzen und Erschöpfung aus und trug ihn sogar über die Angst hinweg – und es gab vieles zu fürchten! Es brauste und wogte im Dunkeln um ihn herum und versetzte ihm Schläge, bis er voller schmerzender blauer Flecken war und sich fest an … was

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