Tod eines Holländers
etwas anzufangen. In diesem Alter war ich schon Druckergeselle. Das Problem in Italien ist nur…«
»Ich wei ß « , sagte der Wachtm e ister, » m an bek o m m t heutzuta g e keine Lehrlinge m ehr, und wenn m an doch welche findet, m uß m an gleich den vollen Lohn zahlen, obwohl sie noch gar nichts können, von den Sozialabgaben gar n i cht zu reden…«
Er hoffte, sich durch diese Zusammenfassung einen zweistündigen Vortrag zu ersparen.
»Ich wollte Ihnen ein paar Fragen stellen, und zwar i m Zusammenhang m it dem Tod dieses Holländers, Goossens. Wie ich schon gesagt habe, will der Staat s anwalt den Fall offenbar als Selbst m ord zu den Akten legen . «
» Selbstmor d ? « sagte der Drucker wieder, schüttelte dann m i t wissender Miene den Kopf. » Nein, nein, nein.«
»Ich ve r m ute m al, daß S ie im Laufe der Zeit eine ganze Rei h e von Selbst m ordfällen gesehen haben?«
»Eine ganze Reihe, ja, aber keinen, der so ausgesehen hat . «
» S ie glauben also, daß an der Sache irgend etwas faul ist ? «
» Das habe ich nicht ge s agt. Es sah in vielerlei Hinsicht nach einem Unfall aus, als hä t te er versehentlich etwas eingenomm e n und dann in großer Eile versucht, etwas dagegen zu tun, und sich dabei die Hände aufgeschnitten und so weiter. Aber ich würde doch sagen, daß Ihnen d i e Obduktion da m ehr Aufschluß geben wird, als ich es kann.«
» Ja, sicher. Da es sich aber um einen ungewöhnlichen Fall handelt, wollte ich wissen, was Sie davon halten . «
Daß er den Obduktionsbericht ver m utlich nie zu Gesicht bekommen würde, sagte er nicht.
» Haben Sie schon m a l erlebt, d aß sich ein Mann m it Schlaftabletten das Leben genommen ha t ? «
»Ei n m al. E igenartigerweise wurde nicht die Misericordia gerufen. Es war ein Nachbar von uns, ein Flickschus t er. Allerdings hat er sich, nachdem er die Tabletten geschluckt hatte, eine Plastiktüte über den Kopf gezogen, um ganz sicher zu gehen. Das war nach der Hochwasserkatastrophe, wissen Sie, er hatte alles verloren, absolut alles; sein Laden lag im Erdgeschoß, seine Wohnung g l eich dahinter – wir hatten selbst in unserer Werks t att einen großen Schaden zu beklagen, aber zu m indest hier oben gab es keine Proble m e. Wir wurden natürlich entschädigt, bekamen neue Masch i nen, aber so alte Leute wie er, die ihr Lebtag allein gearbeitet haben, konn t en sich einfach nicht vorstellen, daß jemand ihnen helfen würde, und so… Jedenfalls brachte sich der alte Querci u m , und zwar m it Schlaftabletten. Möglicherweise deswegen, weil die Fa m ilie, bei der er untergekom m en war, i h m zur Beruhigung das Zeug besorgt hatte, aber wohl eher deswegen, weil er kein einziges Werkzeug m ehr besaß, m it d em er sich h ätte u m bringen können. Ehrlich gesagt, was den Holländer angeht, so gründet sich m eine Ve r m utung, daß es ein Unfall war, auf eine ganz einfache Beobachtung: er war angekleidet, verstehen Sie… ? «
» Ja, st i mmt . «
» Vollständig angekleidet, sogar m it u m gebundener Krawatte. Er trug zwar Slipper, aber ansonsten… Wenn m an vo r hat, im Schlaf zu sterben, dann legt man sich nor m alerweise ins Bett – selbst wenn er versehentlich ei n e Überdosis nah m , hätte er eigentlich zu Bett gehen m üssen. Er war aber vollständig angezogen, und das Bett war nicht ei n m al g e m acht. Man sagt ja, er hat dort nicht gewohnt.«
»Wer sagt das ? «
» Die Zeitun g . Heute m orgen standen ein paar Zeilen darin.«
Er nahm die Zeitung, die neben seiner Kaffeetasse lag, und setzte eine dunkle Hornbrille auf.
» H i er: Der Mann, der i m vierten Stock eines Wohnhauses an der Piazza S. Spirito an einer Überdosis Schlaftabletten sterbend aufgefunden wurde, ist i dentifiziert worden. E s handelt sich um Ton Goossens, Geschäftsmann aus A msterdam. Die Leiche wurde zur Obduktion in das Ger i chtsmedizinische Institut gebracht.«
Weiter nich t s. Da seinerzeit kein Reporter erschienen war, m ußten sie ihre Infor m ationen von der Zentrale bekommen haben, neben den üblichen Meldungen über Handtaschendiebstähle und Verkehrsunfälle.
»Wir halten immer na c h der Flasche Ausschau, wissen Sie«, sagte der Drucker und faltete die Zeitung zusa mm en, » weil wir sie ins Krankenhaus oder in die Leichenhalle m itne h m en m üssen.«
» Die Flasche ? … Die Flasche, in der die Schlaftabletten waren ? «
» Genau. In diesem Fall haben wir aber keine gefunden…, allerdings sind Ihre Leute ja noch geblieben, als wir
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