Tod eines Holländers
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Der Wacht m eister fuhr sich m it seinem großen weißen Taschentuch über die Stirn. Wieder fühlte er sich verunsichert. Die Fa m ilie n verhältnisse waren ihm zu ko m plizie r t, und er wußte nicht, ob er überhaupt d i e richtigen Fragen stellte. Er versuchte es m i t einer praktischen Überlegung: » Wieso hat er ihr Verschwinden nicht ein f ach der Polizei ge m el d e t ? Sie konnte doch einen Unfall gehabt, ihr Gedächtnis verloren haben, ein bißchen ko m isch im Kopf geworden sein … «
» Nein, sie war nicht verschwunden, j edenfalls nicht in diesem Sinne. Eines Tages bekam Toni einen Brief von ihren englischen Anwälten, in dem stand, daß sie jede Verbindung zu ihm abgebrochen habe und alle dringenden Fragen über die Anwälte geregelt werden sollten. Er telefonierte sofort m it ihnen, konnte aber nicht mehr aus ihnen herausholen, als daß sie sich in einer anderen Gegend Englands niedergelassen und ihre Anwälte schriftlich ersucht habe, das Haus, das sie bis dahin vermie t et hatte, zu ve r kaufen. Toni wäre ihr überall hinter h ergelaufen, um sie zu suchen, doch Wanda, seine Verlobte, wehr t e sich dagegen. Wer wollte i hr das verdenken, sie kannte sie schließlich nicht. Sie wußte nur, daß sie Tonis Stief m utter war und es unrecht von ihr gewesen war, einfach so zu verschw i nden und ihn in Aufregung zu versetzen. Wanda ist eine sanft m ü tige Person, aber wenn es darum geht, sich zu behaupten… Sie war der Ansicht, daß Toni sich noch m ehr Schwierigkeiten einhandelte, wenn er auf die Suche ging, und hat dann ein energisches Mach t wort gesprochen. Ach, er hat s i ch alles so zu Herzen genom m en, der Toni…«
» Aber so unrecht hatte sie doch nicht. Es ging schließlich u m seine Stiefmutter, nicht um seine richtige Mutter, und wenn sie so eindeutig erklärt, daß sie nichts m ehr m i t i h m … «
» S ie haben nichts verstanden. Überhaupt nichts! Erinnern Sie sich, nachdem sie Goossens geheiratet hatte, ist sie aus lauter Taktgefühl nicht in die Wohnung eingezogen, weil sie nicht sicher war, wie Toni reagieren würde. Fast ein Jahr hat sie gewartet, so sehr lag ihr Toni am Herzen. Dann kam der Ring. Den fertigen Ring bekam sie von Toni und seinem Vater ge s chenkt, das war eine Idee von Toni. Es war wie eine zweite Hochzeit, und die Signora zog noch in derselben Woche ein. Bis dahin hatte nie m and au ß er m ir gewußt, daß sie geheiratet hatte n .
Na ja, es lief dann alles sehr schön. Sobald sie Menschen hatte, um die sie s ich küm m e r n konnte, fühlte sie sich wieder wie ein junges Mädchen. Sie führte das Haus und half im Geschäft… und sie sind gemeinsam verreist. Sie hat o ft gesagt, daß Gott ihr zwei Leben geschenkt hat, daß sie noch einmal ihre Jugend erleben dürfe. Und ich sage Ihnen noch etwas: sie hat Goossens geliebt, und sie waren glücklich m i teinander, aber das Größte für sie war Toni. Ihr Leben lang hatte sie sich ein Kind gewünscht, w i ssen Sie… Ich m öchte Ihnen was zeigen…«
Sie zog ihren Rollstuhl heran, sank aber wieder in die Kissen zurück. » In der Tischschublade, holen Sie m al die Fotos heraus… nein, nicht das Albu m , die beiden gerahmten Bilder… ja, richtig… sehen Sie selbst!«
Es handelte sich um Farbfotos, d i e in irgendeinem Urlaub aufgeno m men worden waren. Auf dem einen sah m an den kräftigen, grauhaarigen Goossens, der die Ar m e um seine zierliche kleine englische Frau legte, im Hinter g rund das Meer und ein tiefblauer Hi mm el, und es m uß ein ziemlicher Wind geweht haben, denn die Frau hielt i h re Locken fest, da m i t sie ihr nicht ins Gesicht fielen. Auf dem anderen Foto, offensichtlich von Goossens aufgeno mm e n , sah m an Toni, einen strammen Burschen von etwa siebzehn Jahren, gebaut wie sein Vater, das Gesicht aber etwas fe i ner geschni t ten, m it lebhaften dunklen Augen, wie er seine Stie f m utter hochhob und tat, als wollte er sie in die Wellen werfen, d i e seine Füße u m spülten. Er hatte e i ne Badehose an, während sie ein weißes Strandkleid m it r oten Punkten trug. Beide lachten unbändig, zeigten jene unverkrampfte Ausgelassenheit, die für glückliche Fa m i lien charakteristisch ist.
Der Wachtmeister bet r achtete das Foto länger als unbedingt notwendig. Bald würde er m it den Jungen am Strand sein, aber bis sie sich aneinander gewöhnt hatten, daß solch ein Lachen entstehen konnte, war es Zeit, einander Lebewohl zu sagen.
»Ich habe s i e in die Schublade gelegt, um
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