Tod eines Holländers
auf den Korridor, zur Wohnungstür.
Eine Etage weiter unten stand eine ältere Matrone i n der Tür.
»Wie geht es ihr ? «
» S ie schläft.«
Er zögerte, m ochte kei n e Predigt halten. » Wenn es Ihnen nichts aus m achen würde, irgendwann einmal bei ihr vorbeizuschauen…«
»Ich werde um halb sieben hochgehen, wie jeden Abend. In der Stunde, bevor sie zu Bett geht, m öchte ich sie nicht gern alleinlassen. Sie verstehen. Wahrscheinlich wird sie eines Nachts im Schlaf st e rben. Ich m ache uns beiden etwas War m es zu trinken und neh m e es m it hoch. Wenn ich gesehen habe, daß sie im Bett liegt, komme ich noch rechtzeitig zu den Acht-Uhr-Nachrichten wieder herunter, die verpasse ich nä m l ich nicht gern – ist irgend etwas ? «
» Nein, nein. Ich bin erleichtert, daß Sie…«
»Ich verstehe. Sie hat Ihnen wohl erzählt, daß niemand sie besucht. Das erzählt sie allen Leuten, aber die Wohnung ist nie leer, es ist immer jema n d da. Signora Giusti ist zur Zeit nicht besonders zufrieden m it m ir, ich habe ein schl i m m es Bein und m ußte ein, zwei Mal abends zum Arzt und konnte deswegen unser Stündchen nicht einhalten. Sie dürfen die bösartigen Lügengeschichten nicht glauben, die sie erzählt. Es ist ihr einziges Hobb y , und sie ist zu alt, noch ein neues zu lernen. Aber lieber das, als allen Leuten von ihrem Geld zu erzählen. Hat sie… ? «
» Mir von ih r em Begräbnisgeld erzählt? Ja.«
»Wenn sie d as bloß lassen würde – na ja, bei Ih n en ist ' s ja in Ordnung, aber eines schönen Tages… ich nehme an, sie hat sich gefreut, Signora Goossens nach all diesen Jahren wiederzusehen, das wird ihr neuen Elan geben. Ich habe sie nie ein schlechtes Wort über s i e sagen hören . «
» S ignora Goossens ? « Idiotischerweise dachte er zuerst an die holländische Schwiegermutter, die zur Beerdigung herunterkommen würde, aber sie mei n te ja bestimmt… »Haben Sie gesagt, sie ist wieder da?«
»War sie denn nicht m it Ihnen oben? Ich habe gedacht… also, ich habe sie gerade die Treppe heruntergehen sehen, als ich die Tür auf m achte, und als Sie dann ka m en… Ich wüß t e gar nicht, wo sie sonst hätte gewesen sein sollen, außer vielleicht in ihrer alten Wohnung… tja, warum eigentlich nicht … «
» Haben Sie m i t ihr gesprochen ? «
» Nein, nein… Ich habe sie ja nur kurz gesehen, wie sie die Treppe hinunterlief, und natürlich habe ich angenommen, daß s ie bei Signora Giusti war… also, wenn i ch gewußt hätte, daß Sie m i t ihr sprechen wollten…«
Doch schon polterte der Wachtmeister die Treppe hinunter, in der einen Hand die Schirm m ütze, m it der anderen die Sonnenbrille suchend.
6
Die sonnenüberflutete und belebte Piazza mit ih r en schreienden Händlern, palavernden Hausfrauen und bellenden Hunden hatte nach der bedrückenden Stille in der Wohnung der alten Signora Giusti etwas Überwältigendes. Schnelle Bewegungen machten nur die Hunde, die einander um den Brunnen i n der Mitte des Platzes jagten. Die Menschen lär m ten zwar, bewegten sich in der spätvor m itt ä glichen Hitze aber zi e mlich langsa m . Die gr o ßen Augen des Wachtmeisters, verborgen hinter der Sonnenbrille, m usterten die Menge unter den Bäu m en – ein hoffnungsloses Unterfangen, denn abgesehen von einem zwanzig Jahre a l ten Foto, wußte er nicht einmal, wie die Frau aussah.
» Und wenn ich es wüßte«, brum m te er vor sich hin, » würde ich sie in diesem Gewi mm e l ohnehin nicht finden. Wahrscheinlich ist sie schon über alle Berge . «
Zögernd blieb er neben einem T extilienstand stehen und überlegte, was er als nächstes tun sollte. Ein kurzbeiniger, schwarzweißer Köter kam herbeigelaufen, schnupperte an seinen Schuhen und schoß dann in den dunk l en Hauseingang zurück, aus dem er gekommen war. Wahrscheinlich gehörte er dem Blu m enverkäufer, dessen winziger Laden gleich neben dem Eingang zu Signora Giustis Haus lag. Der Wacht m eister kehrte um und se t zte die Sonnenbrille ab, um seine Augen an das Halbdunkel des kleinen, fensterlosen Gelasses zu gewöhnen. Der Geruch von frischem Ge m üse wurde sofort von dem Duft frischer Blu m en ve r drängt. Ein Mann in schwarzem Kittel saß m it d em Rücken zum sc h m alen Eingang und fertigte jene kleinen Blu m ensträuße m it bunter Papier m anschette an, von denen ein i ge draußen im Schatten der gestreiften Markise hingen. Von dem Mann selbst war nur der helle, kräftige Nacken zu sehen.
» I m m er
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