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Tod eines Mathematikers

Tod eines Mathematikers

Titel: Tod eines Mathematikers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Herrnkind / Walter K. Ludwig
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gerade die Straßenbahn vor und bis zu meiner Wohnung musste ich nur zwei Stationen fahren.
    Zu Hause ging ich sofort unter die Dusche. Wusch den Pockennarbigen ab. Jetzt, wo er nicht mehr in meiner Nähe war, fühlte ich mich gut. Schön, begehrenswert. Mein Vater hatte mich anfällig werden lassen für diese Art der Bestätigung.
    Deshalb sitze ich ja hier und erzähle Ihnen das alles so offen. Ich sehe ja ein, dass ich ein Problem habe. Aber ihr Männer nehmt euch alles raus. Je mehr Weiber ihr gepflückt habt, desto größere Helden seid ihr doch. Der Pockennarbige prahlt vor den anderen wahrscheinlich mit seinen Ausflügen ins Billardzimmer. Nun grinsen Sie nicht so.
    Klar, es hat etwas Selbstzerstörerisches, mit fremden Männern zu schlafen. Ohne Gummi. Todessehnsucht vielleicht.
    In jener Nacht aber schlief ich, das Schnurren von Hans-Günther im Ohr, der sich auf dem Kissen neben mir zusammengerollt hatte, entspannt und zufrieden gegen vier Uhr dreißig ein. Schlief tief und fest, wie lange nicht mehr.
    Bis mich das Klingeln der Kripobeamten gegen fünfzehn Uhr aus dem Schlaf riss. Ein Mann und eine Frau, die sich, wenn ich mich recht entsinne, als Cremer und Todt vorstellten. Namen sind Nachrichten, an die erinnert man sich als Journalistin besonders gut. Ob sie hereinkommen dürften. Schlaftrunken ließ ich sie in meine Wohnung.
    Und glaubte zu träumen, als sie mir sagten, dass mein Vater tot sei. Dass er Selbstmord begangen hätte. Letzte Nacht. Sie hätten zwar keinen Abschiedsbrief gefunden, doch die Situation sei eindeutig gewesen. Mein Vater hätte eine Schubkarre mit glühender Holzkohle in sein Arbeitszimmer geschoben und sich mit Kohlenmonoxid vergiftet. Das Kohlenmonoxid sei durchs Haus gezogen, sodass sich das tödliche Gas verteilt habe. Seine Haushälterin Frau Willich sei am Morgen in die Falle gelaufen. Sie habe das Kohlenmonoxid eingeatmet, sei bewusstlos geworden, ins Koma gefallen und – weil sie nicht rechtzeitig gefunden worden war – gestorben. Ein bedauerlicher Unfall.
    »Fünf Atemzüge reichen zum Sterben«, sagte der Kripobeamte. Das sei eine alte Feuerwehrweisheit.
    Mit war sofort klar, dass diese Geschichte so nicht stimmen konnte.
    Mein Vater wusste als Naturwissenschaftler um die Gefährlichkeit von Kohlenmonoxid. Zugegeben, auf so elegante Art aus dem Leben zu scheiden, hätte schon zu ihm gepasst. Man schläft ein, verspürt keine Schmerzen, macht, anders als wenn man sich eine Kugel durch den Kopf jagt, keinen Dreck. Bis auf ein bisschen Ruß auf den Möbeln vielleicht.
    Doch mein Vater hätte ein Warnschild an die Haustür geklebt, um Frau Willich und die Rettungskräfte vor dem Kohlenmonoxid zu warnen.
    Mein Vater war ein Arschloch. Nie hat er eine Gelegenheit ausgelassen, mich und meine Mutter zu demütigen. Er war arrogant. Er war cholerisch, jähzornig. Aber er hätte nie jemanden umgebracht.
    Mir wurde schwarz vor Augen. Ich taumelte, musste mich aufs Sofa setzen. Die Kripobeamten fragten, ob sie einen Arzt verständigen sollten. Aber das wollte ich nicht.
    Jemand hat meinen Vater ermordet, hämmerte es in meinem Kopf. Egal, was die Polizisten sagten. Ich wusste es einfach besser. Es war Mord. Und der oder die Mörder hatten es aussehen lassen wie Selbstmord.
    Für mich gab es nicht den geringsten Zweifel. Ich schämte mich für meine Mordgedanken vom Vortag. Ich habe den Bullen natürlich nichts davon erzählt. Dass erzähle ich nur Ihnen, weil Sie ja als Therapeut zur Verschwiegenheit verpflichtet sind. Und mir helfen wollen.
    Ich wusste vom ersten Moment, dass jemand meinen Vater umgebracht hatte. So, als hätte er meine Gedanken gelesen. Nur wer? Und warum? Die Bullen würden nicht länger ermitteln. Für sie handelte es sich um Selbstmord und fahrlässige Tötung. Ich musste den Mörder meines Vaters schon selbst finden.
    *
    »Das neue Jahr fängt ja gut an«, sagte Herbert Kühlborn, Erster Kriminalhauptkommissar und Leiter der Bremer Mordkommission, während er seinen Stuhl ein Stück über den grauen Nadelfilz im Besprechungszimmer schob, um Platz für seinen Schmerbauch zu schaffen. »Am Neujahrsmorgen ein Schädel am Weserstrand. Einen Tag später ein Selbstmörder, der seine Haushälterin mit in den Tod reißt. Wenn das so weitergeht, muss ich ein paar Leutchen aus dem Urlaub holen.« Seine Bemerkung wurde vom allgemeinen Gegrummel und Stühlerücken geschluckt.
    Kühlborn fingerte sich eine Marlboro aus der Packung, steckte sich die Zigarette zwischen die

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