Tod eines Mathematikers
hatte.
»Guten Morgen, Frau Katzenstein, hier spricht Fabian Mohr, ich war bis vor Kurzem zweiter Vorsitzender der Stiftung MMW. Ich muss Sie unbedingt sprechen.«
»Jetzt?!«, antwortete ich noch halb im Schlaf.
»Nein, nicht am Telefon. Wir müssen uns treffen. Möglichst bald.«
Ich setzte mich im Bett auf. »Hören Sie, ich weiß nicht, was wir besprechen sollten. Meine Anwältin hat das Testament angefochten. Wenn es darum geht, sprechen Sie bitte mit ihr. Sie schickt doch bestimmt dieser Clo…, äh, Freitag.«
»Nein, mit Freitag habe ich mich gestritten, und zwar wegen Ihres Vaters. Frau Katzenstein, bitte. Ich habe Informationen, die für Sie interessant sein dürften. Vertrauen Sie mir.«
»Mathematikern vertraue ich grundsätzlich nicht«, zickte ich.
»Bitte, Frau Katzenstein. Ich glaube, dass es beim Tod Ihres Vaters vielleicht nicht mit rechten Dingen zugegangen ist.« Mit einem Mal war ich hellwach. War das eine Falle? Auf der anderen Seite – was hatte ich schon zu verlieren, wenn ich mir anhörte, was dieser Typ zu sagen hatte?
»Also gut, wann und wo?«
»Passt es Ihnen heute Mittag? Ich bin gerade in Bremen.«
»Das könnte ich einrichten. Zwölf Uhr?
»Okay. Wo?«
»Im Theatro . Wie erkenne ich Sie?«
»Ich kenne Sie. Bis heute Mittag, Frau Katzenstein.«
Bevor ich Mohr fragen konnte, woher er mich kannte, hatte er aufgelegt. Ich stand auf, duschte, las Zeitung. Dann machte ich mich fertig, trank einen Kaffee im Stehen und fuhr in die Redaktion.
In der Konferenz beachtete mich Kossek wie gewohnt nicht. Plötzlich rebellierte mein Magen. Der Kaffee von heute Morgen, den ich auf nüchternen Magen getrunken hatte, war mir nicht bekommen. Ich sprang vom Stuhl auf, schlug mir die Hand vor den Mund. Mist, hoffentlich würde ich es noch bis aufs Klo schaffen. Das fehlte noch, dass ich mich hier im Konferenzraum übergab. Vor allen Kollegen. Ruckartig zog sich mein Magen zusammen.
»O Gott, Alexandra. Du bist ja ganz bleich«, rief Matze, der direkt neben mir saß.
Ich drängelte mich an den Kollegen vorbei. »Alexandra, ist dir nicht gut?« Auch Sarah Richter, eine andere Kollegin, war besorgt. Ich schüttelte den Kopf, öffnete die Tür und lief raus auf den Flur, rannte aufs Klo und schloss mich ein.
Sekunden später flog die Tür auf und Sarah rief nach mir. »Alexandra? Ist alles in Ordnung?« Statt einer Antwort beförderte ich den Kaffee, den ich am Morgen getrunken hatte, geräuschvoll in die Kloschüssel. Sofort fühlte ich mich besser.
Nach einer Weile schloss ich die Toilettentür wieder auf, wischte mir den Schweiß von der Stirn. »Danke, Sarah«, flüsterte ich, wankte zum Waschbecken, drehte den Hahn auf und klatschte mir kaltes Wasser ins Gesicht. Sarah legte mir die Hand auf die Schulter, reichte mir ein Taschentuch. »Geh doch nach Hause«, schlug sie vor.
Ich schüttelte den Kopf. »Geht nicht. Zu viel zu tun. Und unser neuer Chef kann mich sowieso nicht leiden.«
»Das bildest du dir bestimmt nur ein«, widersprach meine Kollegin.
Wieder schüttelte ich den Kopf. »Lass mal, geht schon wieder.«
Vor der Damentoilette wartete Matze. »Ali, soll ich dich nach Hause fahren?« Matze war wirklich ein Schatz.
»Nein, nein, ist schon wieder okay. Mir war halt ein bisschen schlecht, hab wohl was Falsches gegessen. Lieb von euch, dass ihr euch Sorgen macht.« Ich ging unsicher den Flur entlang zur Redaktion, setzte mich an meinen Schreibtisch. Matze brachte mir ein Glas Wasser.
»Danke«, hauchte ich. Sarah sah mich voller Sorge an. Demonstrativ blickte ich auf meine Armbanduhr. »Oh, ich muss telefonieren. Danke, ihr zwei.« So lieb die beiden waren, mir war die Sache peinlich, ich wollte so schnell wie möglich zur Tagesordnung übergehen. Außerdem ging es mir wirklich besser, nachdem sich mein Magen geleert hatte. Was würde Kossek von mir denken?
*
Von seinem gläsernen Kommandostand aus hatte Kossek Alexandra im Blick. Er saß in seinem Glaskasten und beobachtete die Szene.
Der kleine Dicke und die lange Richter redeten auf die Kleine ein. Sie schüttelte energisch mit dem Kopf. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Legten sie ihr nahe, nach Hause zu gehen? Und sie wollte nicht? Warum nicht? Pflichtgefühl? Heldin der Arbeit? Oder wartete sie darauf, dass er, Kossek, zu ihr kam?
Plötzlich glaubte er etwas zu sehen, das er lieber nicht gesehen hätte. Wölbte sich da etwas unter ihrem Bauch? Hatte sie etwas zugelegt? Oder …? Nee, nä!
Die Kleine wird doch
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