Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod für Don Juan

Tod für Don Juan

Titel: Tod für Don Juan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
Vom Netzwerk:
schwarzen samtausgeschlagenen
Kästchen in ihrer Handtasche mit sich herumgetragen, da sie es weder der Post
noch internationalen Kurierdiensten oder diebes- und feuersicheren Tresoren
hatte anvertrauen wollen. In Lauras Handtasche war außerdem noch eine bildschöne
falsche Perlenkette gewesen, die sie meist abends zum Essen getragen hatte. Was
sonst an Wertsachen in der gestohlenen Handtasche gewesen sein mochte, konnte
Sheila nicht sagen, fügte aber von sich aus hinzu, daß nach ihren jüngsten
Erfahrungen — und trotz des jüngst erstarkten Pfundes — Amerikaner sich über
die Kaufkraft der englischen Währung häufig nicht recht klar waren. Sie hatte
den Verdacht, daß Zehn-, Zwanzig-, ja sogar Fünfzigpfundnoten in den Börsen und
Brieftaschen dieser gutbetuchten älteren Mitbürger Kaliforniens nichts
Ungewöhnliches waren — zweifellos eine freudige Überraschung für einen
gewöhnlichen Handtaschendieb. Aber nach Einzelheiten müßte man wohl Mr.
Stratton — Eddie Stratton — fragen.
    Sie richtete ihre großen
melancholischen Augen auf Morse, der — so kam es jedenfalls seinem Sergeant vor
— einen Augenblick wie hypnotisiert war, so daß Lewis rasch mit einer eigenen
Frage einsprang.
    «Sie glauben also, Mrs.
Williams, daß die Gruppe wohl nichts dagegen hätte, wenn ich sie frage, wo jeder
einzelne zwischen halb fünf und Viertel nach fünf war. Würden Sie uns jetzt
liebenswürdigerweise verraten, wo Sie sich in der bewußten Zeit
aufgehalten haben?»
    Diese eher harmlose Frage
zeitigte eine unerwartet dramatische Wirkung. Sheila Williams stellte das leere
Glas ab und brach in Tränen aus, während Morse seinen Untergebenen anfunkelte,
als habe der gegen sämtliche Regeln der Diplomatie, der Etikette und des
Anstands verstoßen.
    Doch Morse war der Situation
gewachsen. Er nickte gebieterisch zu dem leeren Glas hinüber, das Lewis
gehorsam mit weiterem Gordon’s Gin und einem Schuß Tonic Light füllte.
    Unvermittelt setzte Sheila sich
auf, warf den beiden Kriminalbeamten einen trotzigen Blick zu, raffte all ihre
Würde zusammen und leerte — was Morse insgeheim sehr bewunderte — ihr Glas in
einem Zug. Und dann sagte sie kurz und knapp: «Fragen Sie Dr. Kemp!»
    Nachdem Sergeant Lewis sie
galant aus dem Zimmer geleitet hatte, öffnete Morse rasch die Hausbar, schenkte
sich ein halbes Glas Glenfiddich ein, nahm einen genüßlichen Schluck und
stellte das Glas strategisch geschickt so ab, daß es Hereinkommende —
einschließlich Sergeant Lewis — nicht im Blickfeld hatten.
    Merkwürdigerweise hatten
offenbar weder Sergeant Lewis noch Inspector Morse voll erfaßt, daß Mrs. Sheila
Williams es geschickt vermieden hatte, die einzige signifikante Frage zu
beantworten, die ihr gestellt worden war.
    So wundersam kann die Wirkung
von Frauentränen sein.

9
     
    Oft
habe ich mir gewünscht, ich wäre tot, aber hübsch unter meiner Decke, damit
weder der Tod noch ein Mensch mich hören könnten. (Georg Lichtenberg)
     
    Ashenden konnte sich später
ganz genau erinnern, was er in den nach Meinung von Morse entscheidenden
fünfundvierzig Minuten gemacht hatte.
    Um Viertel vor fünf war er, vom Randolph Hotel kommend, am Märtyrerdenkmal in die Broad Street
eingebogen. Mittlerweile fiel die Sonne nicht mehr schräg auf den blaßgelben
Stein. Jetzt, am frühen Abend, war es viel kühler geworden, und er trug einen
leichten Regenmantel. Rasch ging er an der Fassade von Balliol, an dem
prachtvollen Tor von Trinity und an Blackwell’s Book Shop vorbei und wartete an
der New Bodleian die nächste Ampelphase ab, um auf die Holywell Street
hinüberzugehen, als er sie Arm in Arm und ganz ineinander versunken (wie ihm schien)
vor dem Sheldonian stehen sah. Noch etwas schneller ging Ashenden jetzt am King’s
Arms , dem Holywell Music Room und der Hinterfront das New College
entlang bis zur Longwall Street. Hier wandte er sich nach links und betrat nach
etwa zweihundert Metern durch das hölzerne Tor den Holywell Cemetery, einen
etwas ungepflegten, aber nicht verwahrlosten Friedhof, wo unter Steinen und
Kreuzen — so vielen keltischen Kreuzen! — die sterblichen Überreste zahlreicher
Oxfordgrößen zur letzten Ruhe gebettet waren. Ein Weg schlängelte sich durch
das Gras bis zu einer Bank, über der an einer Eibe mit Draht eine Holztafel mit
dem Friedhofsplan und den besonders gekennzeichneten Prominentengräbern
befestigt war.
    1 Kenneth Grahame (1859—1932.)
    z Maurice Bowra (1898 —1971)
    3 Kenneth Tynan

Weitere Kostenlose Bücher