Tod für Don Juan
laufen wehklagend zur Polizei, wenn das
Rückfenster eingeschlagen ist und —
Ach komm, dachte Morse, das ist
doch alles ein alter Hut!
In Wahrheit war es wohl so, daß
sein Interesse an dem Fall schon fast auf Null abgesunken war. Das einzig
Beeindruckende an der ganzen Geschichte war für ihn die Trinkfestigkeit einer
gewissen Sheila Williams.
Er konnte gerade noch das
Whiskyglas verschwinden lassen, ehe Max den Kopf zur Tür hereinsteckte, ohne
sich auch nur durch ein höfliches Klopfen anzukündigen. Als er Morse im Sessel
des Hoteldirektors sitzen sah, kam er prompt herein und nahm ebenfalls Platz.
«Man hat mir gesagt, daß ich
dich hier finden würde. Wäre allerdings kaum nötig gewesen. Jeder Pathologe,
der sein dürftiges Gehalt wert ist, besitzt nach längerer Praxis einen recht
gut entwickelten Geruchssinn.»
«Schieß los!»
«Das Herz. Massiver Infarkt.»
Swains Worte...
Morse nickte vor sich hin.
«Möchte wirklich wissen,
weshalb du mich hergebeten hast, um eine völlig offenkundige Tatsache zu
bestätigen. Wo ist übrigens der Schnaps?»
Widerwillig deutete Morse auf
die Hausbar.
«Kostet schließlich nicht dein
Geld...»
«Was möchtest du?»
«Danke, nein, ich bin im
Dienst.»
«Auch gut.»
«Ist der — äh — Scotch
trinkbar?»
Morse hievte sich hoch und
leerte eine Miniflasche in einen Plastikbecher. Ein paar Minuten saßen die
beiden alten Sparringspartner in freundschaftlichem Schweigen beieinander und
tranken genüßlich.
«Hör mal, Max, kannst du die
Todeszeit wirklich —»
«Gar nicht so übel, das Zeug.»
«...genau festmachen?»
«Zwischen halb fünf und Viertel
nach fünf.»
«Tatsächlich?» Noch nie hatte
Morse eine auch nur annähernd so eindeutige Festlegung aus dem Mund des buckligen
Polizeiarztes gehört. «Jetzt sag bloß, wie du —»
«Die Kleine am Empfang. Um halb
fünf sei die arme Frau aufs Zimmer gegangen, sagt sie, und zwar auf ihren
eigenen Füßen. Um Viertel nach fünf, haben mir deine Leute erzählt, hat ihr
liebender Ehemann sie gefunden.» Max nahm einen großen Schluck Glenfiddich.
«Wir Profis müssen alle uns zur Verfügung stehenden Hinweise nutzen.» Er leerte
den Plastikbecher und nickte anerkennend.
«Noch einen?»
«Wo denkst du hin? Ich bin im
Dienst. Und auf dem Weg zu einem ziemlich feudalen Dinner.»
Bei Morse läutete eine ferne
Tempelglocke. «Etwa die gleiche Sache, zu der auch dieser Dingsbums —»
«Ebenjene, Morse.»
«Er ist hier Hotelarzt.»
«Kannst du mir nicht mal was
erzählen, was ich noch nicht weiß?»
«Es ist nur, weil er Mrs.
Stratton untersucht hat...»
«Und du fandest ihn nicht sehr
vertrauenserweckend.»
«So könnte man sagen.»
«Soll ein ganz tüchtiger Arzt
sein.»
«Also wenn du mich fragst — »
«Kein besonders liebenswerter
Zeitgenosse? Manchmal liegst du mit deinen Einschätzungen gar nicht so falsch,
alter Freund. Na gut, meinetwegen noch einen kleinen Schluck...»
«Du kennst ihn?»
«Ja. Und in diesem Fall möchte
ich mir erlauben, deine Einschätzung leicht zu korrigieren. Der Mann ist nicht
nur kein — nein, ich will es anders ausdrücken: Er ist das größte — du weißt
schon — in ganz Oxford.»
«Aber das mit dem Infarkt steht
fest?»
«Nicht dran zu tippen. Also
bilde dir bloß keine Schwachheiten ein. Mir kannst du das getrost
abnehmen, Morse!»
Als Max zehn Minuten später
enteilt war, um sich auf Kosten der British Medical Association zu Tisch zu
setzen, hatte Morse bereits, wie es in der Politik so schön heißt, eine
Kehrtwendung gemacht. Und als Lewis mit Dr. Theodore Kemp hereinkam, wußte
Morse, daß er auf dem falschen Dampfer gewesen war. Ein gewisser Zusammenhang
zwischen dem zeitlichen Zusammentreffen eines Diebstahls und eines Todesfalls —
in welcher Abfolge auch immer — mochte häufig gegeben sein, war aber diesmal
auszuschließen.
Lewis würde sich wohl oder übel
alle — oder jedenfalls die meisten — Mitglieder der Gruppe vornehmen müssen,
aber damit wurde er auch allein fertig. Morse zog es mit Macht zurück in seine
Junggesellenwohnung in North Oxford und zum zweiten Satz von Bruckners Siebter
Symphonie.
Ein oder zwei Zeugen aber würde
er wohl anstandshalber selbst übernehmen müssen.
11
Geschichte. Eine zumeist unzutreffende
Darstellung zumeist unwichtiger Ereignisse, herbeigeführt durch Herrscher, die
in den meisten Fällen Schurken, und durch Soldaten, die in den meisten Fällen
Narren sind. (Ambrose Bierce, Des
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