Tod im Albtal
ihre Kabine bestellt hatte, doch ich traute mich nicht, ihm das auch noch zuzumuten.
»Es war extrem viel los«, antwortete ich stattdessen. »Die Chefin hat Brezeln verteilt. Luftballons. Es gab T-Shirts mit Ettlingen-Motiven darauf zu gewinnen. Auf einem waren unser historischer Lauerturm und die Stadtmauer abgebildet. Ich sehe es geradezu vor mir. Man musste ein Rad drehen, um diese Scheußlichkeit zu gewinnen, aber die einfachen Leute mögen ja so etwas. Wenn der Mörder nicht gerade wie ein Clown aussah, konnte er sich an dem Tag in der Menge verbergen. Aber dieser Mord war ein großes Risiko. Deshalb suche ich nach einem kühlen und berechnenden Menschen. Und nach einem, dem die Zeit davonlief.«
»Sie suchen bitte nach gar nichts, Frau Tobler. Außer vielleicht nach Abwechslung in Ihrem öden Luxusweibchendasein da oben auf dem Berg. Einem Zeitvertreib, während Ihr Mann seine … Dienstreisen macht.«
Die Pause, die er machte, gefiel mir nicht. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Nichts. Also, warum ist eine solche Person niemandem aufgefallen?«
Ich rief mir in Erinnerung, was Frau Herrmann gesagt hatte. »Ich versteh etwas davon«, hatte sie gesagt. »Ich war Schneiderin …«
»Herr Hayden, Frau Herrmann kannte sich aus. Sah auf einen Blick, dass das Kleid nicht saß und dass es wie ausgestopft wirkte. Andere hätten das gar nicht bemerkt. Mir wäre es vielleicht aufgefallen, aber ich war ja sozusagen beruflich beschäftigt.«
Hagen kam auf mich zu. Zu meiner Überraschung legte er mir seinen sehnigen Arm um die Schultern und zog mich ganz kurz an sich. Da er größer war als ich, fühlte ich mich plötzlich wie ein Kind. Ich hörte sein Herz schlagen. Er roch gut. Zu gut. Er ließ mich kurz los, drehte mich zu sich und hob mein Kinn mit einer Hand. Ich versuchte mich zu wehren, doch er hielt mich mit seinem Arm fest. Ich fühlte seine Muskeln.
»Liebe Frau Tobler, Swentja, die Polizei ist unter anderem dazu da, damit sich die Bürger dieses Landes sicher und damit glücklich fühlen. Wenn Sie sich also glücklich mit dieser Variante fühlen, so soll es mir recht sein. Ich sehe Sie gerne glücklich, denn schließlich habe ich Sie trotz allem irgendwie, sagen wir … gern. Wir haben übrigens einen Traumapsychologen bei der Polizei. In Karlsruhe. Immerhin war die Tote Ihre Freundin, und Sie haben sie gefunden. Kein Wunder, dass Sie jetzt krampfhaft versuchen, eine Erklärung zu finden. Das ist ganz – oder, sagen wir, fast – normal.«
Ich schlug seine Hand weg und riss mich los. »Bitte verhalten Sie sich korrekt, ja? Und danke für Ihr Verständnis, Herr Hayden. Wir werden sehen, wer am Ende ein Trauma hat!«
Sein Lachen schien mich bis auf die Straße zu verfolgen. Mit diesem Mann konnte man keine fünf Sätze sprechen, ohne sich zu streiten. Anders als mit Nicolaus. Wir stritten uns eigentlich nie. Worüber auch? Jeder hatte seinen Fernseher, sein Konto, sein Bett und sein Leben.
Warum wollte Hagen die Zusammenhänge nicht sehen?
Friederikes geheimer Vater war an jenem Abend bei der Party der Schmieds gewesen. Ich wusste von Horst, dass sie ständig davon gesprochen hatte, sie würde mit mir einkaufen gehen, und dass sie auch den Laden erwähnt hatte, wo wir anfangen würden. Ich erinnerte mich in etwa an ihre Worte am Samstagmorgen: »Also, wenn du bei mir Wunder wirkst, hast du bestimmt bald viel neue Kundschaft, Swentja. Aber meinst du nicht, meine Verwandlung in einen schönen Schwan wird zu teuer? Viele haben mir gestern Abend gesagt, dass Frau Trost keinerlei Prozente gibt, selbst wenn man ihren halben Laden leer kauft. Aber wenn wir da unten in ihrer Exklusivabteilung etwas finden, könnten wir schon verhandeln, meinten einige, die Erfahrung damit haben.« Ich ging davon aus, dass alle gewusst hatten, dass wir an jenem Morgen in die Boutique Valence gehen würden.
Der Mörder hatte nur wie eine Spinne im Netz warten müssen, wie sich die Dinge an jenem Vormittag entwickelten. Wäre Friederike nicht allein im Kellergeschoss gewesen, hätte er eben woanders zuschlagen müssen. Wieder dachte ich an das Handy, wieder verdrängte ich es, und wieder beging ich einen furchtbaren Fehler.
Friederikes Mörder war wie ein schwarzer Schatten die ganze Zeit in ihrer Nähe gewesen. In ihrem Haus. Bei ihrer Party. In ihrem Zimmer, wo er in ihre Privatsphäre eingedrungen war und ihre Schatulle gestohlen hatte. Schließlich hatte er sie beseitigt, weil sie für ihn zu einer tickenden Zeitbombe
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