Tod im Albtal
tippen, mir tief in die Augen sehen und dabei denken, was für ein naives kleines Dummchen ich doch war.
Schlimmer noch – er würde über mich lachen. Unter ihrer Nase habe ich ihre Kundin umgebracht, und jetzt proste ich ihr zu!
Und dieser Gedanke machte mich plötzlich sehr wütend.
Szenen meiner Ehe:
»Elena wird uns übrigens Karten für den ›Nussknacker‹ besorgen. Aus Dankbarkeit, dass wir die Schneeflocke aufgenommen haben. Ich hoffe, du kommst mit.«
»So! Ich weiß noch nicht. Ballett ist nicht meine Welt. Keine Männersache. Schwule Kerle in Strumpfhosen und Mädchen wie Hundehütten. An jeder Ecke ein Knochen.« Während mein Mann derart kultivierte Bewertungen abgab, las er den Focus online.
Ich sah ihm über die Schulter. »Interessanter Artikel?«
»Ein Porträt über die von Mühlbachs. Dritter Teil einer Serie über mittelständische deutsche Firmen, die seit Generationen in Familienhand sind«, gab er zur Antwort. Dann fragte er: »›Nussknacker‹? Da tanzt sie mit, die Kleine?«
»Ja. Sie stört dich doch nicht, die Schneeflocke?«
»Nein. Wenn Elena sie empfiehlt, ist sie in Ordnung. Das ist eine Frau, die weiß, was sich gehört. Ich wollte nicht unbedingt unter ihr arbeiten, aber was sie macht, hat Sinn und Verstand.«
Ich seufzte. »Ja. Deshalb kriegt sie auch das Bundesverdienstkreuz. Aus eigener Kraft. Das werde ich mit meiner Kaufassistenz wohl kaum erreichen.«
»Kaufassistenz nennst du dein Powershopping also jetzt? Das ist gut, meine Liebe. Das ist richtig gut! Hört sich in der Steuererklärung prima an.« Er lachte in sich hinein.
Ich beobachtete ihn wie einen Fremden. Wie unsensibel er war. Natürlich konnte ich mit meinem Mann nicht über meine kürzlich erwachten Gefühle der Nutzlosigkeit sprechen. Er würde mich nicht verstehen. Wahrscheinlich hatte er mich deshalb sogar geheiratet. Weil ich schön und nutzlos war.
»Jeder tut eben, was er kann. Früher konnte sie super tanzen, dann war das vorbei, und sie hat begriffen, dass es am besten ist, wenn sie jetzt andere für sich tanzen lässt. Sie hat den Überblick über den Laden, den sie führt. Das gefällt mir.«
Ein Lob aus dem Mund meines Mannes. Ich musste ihm recht geben. Auch Elena würde mich nicht verstehen. So gern ich sie mochte, aber ihre Mission ließ ihr wenig Zeit. Bisher hatte ich immer angenommen, sie bewundere mich. Möge mich. Doch vielleicht fand sie mich nur so niedlich wie ein spielendes Kind.
»Was steht drin über die von Mühlbachs?«
»Dass sie in der dritten Generation teure französische Uhren importieren und darin im oberen Marktsegment erfolgreich sind. Wusste ich aber auch so schon. Kenne nämlich ihren Kontostand ganz gut.« Mein Mann lachte genießerisch.
Ich wusste, dass es ihm diebisches Vergnügen bereitete, durch unsere idyllische Kleinstadt zu gehen und von fast jedem der Honoratioren die Bankgeschäfte zu durchschauen. Vor allem beim Schlendern über den Weihnachtsmarkt, der sich allwinterlich vor dem barock anmutenden Rathaus entfaltete, pflegte er meine Hand zu nehmen: »Schau mal, da drüben, der mit dem Boss-Mantel und der Bratwurst. Hat sich eben mit Senf bekleckert. Weißt du, was dieses Omen bedeutet? Er verdient nächstes Jahr viel Geld. Und ich auch. Das heißt, du darfst mal wieder nach Herzenslust shoppen gehen.«
Ich sah meinen Mann an. Er war Ende vierzig. Obwohl er aus dem feinen Märchenviertel in Karlsruhe stammte, wo man sich wahrscheinlich eine Hausfriseurin hatte leisten können, kam er höchstwahrscheinlich als Friederikes Vater nicht in Frage. Er wäre noch ein Junge gewesen. Aber von Mühlbach dürfte um die sechzig sein. Er hatte spät geheiratet. Seine Frau war wesentlich jünger.
Ich würde dem feinen Nobelmann einen Besuch abstatten, und diesmal würde ich dafür sorgen, dass man mich ernst nahm.
Volker von Mühlbach sah aus, wie man sich einen Adeligen gemeinhin vorstellte. Sandfarbenes Haar, gerade so viel zu lang, dass es ihm einen sensiblen Anstrich gab, ein fast fraulich schönes Gesicht. Blaue Augen, buschige Augenbrauen, feine Nase, hohe Wangenknochen. Nicht allzu groß.
Ich hatte beschlossen, den albernen Vorwand der Kleidersammlung fallen zu lassen. In Zukunft würde ich bei Friederikes Vätern auftauchen, knallhart fragen und damit vielleicht einen Mörder nervös machen. Mehr nicht. Alles andere wäre zu gefährlich.
Kühl und sachlich würde ich Hagen von meinen Eindrücken berichten und ihn handeln lassen.
Oh, ich kam mir sehr
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