Tod im Albtal
stellte. Es war übrigens nur eine einfache braune Bree, die nicht mal zweihundert Euro gekostet hatte. »Ich bewundere solche Frauen«, erwiderte sie in einem Ton, der gar nicht so sehr nach Bewunderung klang. »Ich besitze nur eine einzige Handtasche. Vom British Shop. Guter Stoff. Kennen Sie die Sachen vom British Shop?«
»Eine Canvas-Tasche als einzige Tasche?« Ich versuchte, mein Entsetzen zu verbergen. Die Kataloge dieses Pseudo-»Look Like the Royals«-Versands waren mir ein Dorn im Auge, meinen Kundinnen verbot ich, die Bestellzettel auszufüllen: »Wenn Sie bei Lord Crumplethorpe in Crumplethorpe Cottage zum Tee eingeladen sind, mag solch ein Pullover gerade noch durchgehen, aber im richtigen deutschen Leben sehen Sie in diesen grünen und dunkelroten Pullis aus wie eine Diakonisse auf Heimaturlaub.«
»Kommen Sie weiter. Hier ist mein Büro. Möchten Sie etwas trinken?«
Das, was ich gewöhnlich um diese Uhrzeit trank – einen kleinen Prosecco mit Grenadinesaft und ein paar geeisten Johannisbeeren –, hatte sie mit Sicherheit nicht in ihrer Hausbar. Sie besaß wohl nicht einmal eine Hausbar, sondern würde mir aus einer Plastikflasche Mineralwasser oder bestenfalls Apfelsaftschorle anbieten. Stumm schüttelte ich den Kopf.
»Wie Sie wollen. Ich selbst trinke um die Zeit normalerweise ein Weißbier, um endgültig alle Klischees von einer Lesbe zu erfüllen.« Sie grinste.
Dann musterte sie mich ein wenig ironisch. »Sie sind sehr schön!«, stellte sie fest.
»Danke. Ich weiß. Eine Million Männer haben es mir gesagt, aber bisher nur eine Handvoll Frauen. Willkommen also in einem exklusiven Club!«
Sie lachte. »Nicht mein Verdienst. Sie sind für mich keine Konkurrenz, sondern fallen eher in mein Beuteschema.«
Ich beschloss, das zu überhören, und holte Luft. »Gleich vorweg, Renate, ich habe keinerlei offiziellen Auftrag. Sie müssen mir also nicht das Geringste erzählen. Alles, was Sie sagen, ist freiwillig. Ich kann Ihnen nicht mal versprechen, dass ich es nicht weitersage. Aber ich würde ganz gerne wissen, was Friederike Schmied von Ihnen wollte.«
»Mein Firmenschild gelesen, Schätzchen?«, fragte sie lässig zurück. »Ich werfe Licht in das Leben anderer Menschen. Unter anderem auch in dunkle Familiengeheimnisse. Das ist mein Job.«
»Wie kam Friederike auf Sie?«
»Wie kam sie denn auf Sie ?« Sie sah mich herausfordernd an.
»In meinen Kreisen kennt und schätzt man mich. Wegen meines Geschmacks.«
»Das sehe ich«, erwiderte sie ungerührt. »Und in meinen Kreisen kennt und schätzt man mich wegen meiner Diskretion. Noch Fragen?«
Das saß. Gut gekontert.
In Filmen bestellten ruppige Kripokommissare vom Typus Hagen Hayden solch widerborstige Zeugen aufs Revier, aber wie sollte ich weitermachen?
»Wenn Sie nicht mit mir sprechen«, sagte ich offen, »dann bleibt der Mord an Friederike ungestraft. Die Polizei geht nur nach Schema F vor. Sie hat ein Raster über den Fall gelegt, und wenn keiner drin hängen bleibt – Pech gehabt, verehrtes Opfer! Dann wird eben irgendwann eine Episode für ›Aktenzeichen XY ungelöst‹ draus. Aber das hat Friederike nicht verdient. Sie konnte zwar ein T-Shirt vom C & A nicht von einem Nobel-Hemd von Ed Hardy unterscheiden, aber sie war eine … ganz liebe Person. Ein guter Mensch!«
Ich legte etwas Wärme in meine Stimme und deutete ein kleines trauriges Lächeln an. Renate Rehbügel gab auf.
Das Lächelrezept war simpel und stammte aus Italien. In unserem Land, in dem die meisten Leute mit einem muffigen Gesicht herumliefen, schimpfend im Auto saßen, misstrauisch in der Warteschlange standen und ihre Position akribisch bewachten, fiel ein lächelnder Mensch auf und hatte die Wirkung einer Kerze in einem kalten, dunklen Zimmer. »Du bist eine echte Madame Verdurin«, hatte ein Freund einst zu mir gesagt. Lächelnd hatte ich das Kompliment entgegengenommen und gehofft, dass es keine Kokotte war, mit der er mich verglich. Ich hatte nachforschen müssen, wer die Dame war, und stieß auf Marcel Proust und sein Porträt einer Gesellschaftsdame, die große Partys gab, deren glänzender Mittelpunkt sie stets war. Der Vergleich hatte mir gefallen.
»Also gut. Die Vorgeschichte ist ja auch kein Geheimnis.« Sie nahm einen kräftigen Schluck aus ihrem Bierglas. »Friederike kam vor etwa drei Monaten zu mir. Ihrer Mutter ging es damals schon sehr schlecht, und sie wollte nicht mehr länger warten, um etwas über ihre Herkunft zu
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