Tod im Albtal
mochte ihn nicht. Offen gestanden, konnte ich sie in diesem Punkt nicht ganz verstehen. Sie hat mir natürlich Fotos von allen Familienmitgliedern ausgehändigt, worauf ich wegen des Eindrucks immer bestehe, und ich fand ihren Vater recht attraktiv. Soweit ein Mann attraktiv sein kann, versteht sich. Er stammte aus der Pfalz, aus einem kleinen Dorf an der französischen Grenze. Seine kleine Werkstatt hatte er in Karlsruhe, in der Nähe des Bahnhofs. Der Betrieb musste nach seinem Tod verkauft werden, es gibt ihn heute nicht mehr. Alles wenig spektakulär und wenig geheimnisumwittert.«
Plötzlich sehnte ich mich nach einem nicht zu kalten Pellegrino, mit einem Minzeblatt serviert.
»Haben Sie die Bilder noch?«
»Hey, hey!«, sagte sie forsch. »Die sind Privatsache. Wie komme ich denn dazu, Ihnen diese Fotos zu zeigen, hm?«
Das fragte ich mich offen gestanden auch. Aber vielleicht lohnte sich ein kleiner Erpressungsversuch.
»Weil Sie sich nicht bei der Polizei gemeldet haben, als Sie von Friederikes Tod gehört haben. Sie haben sich damit strafbar gemacht. Haben Sie keine Lizenz zu verlieren?«
Lachend deutete sie mit dem Flaschenöffner auf mich. »Hallo, hallo. Nee, nee, meine Hübsche. Die Sache mit Friederikes Anfrage bei mir liegt schließlich schon eine ganze Weile zurück. Die Rechnungen waren bezahlt, die Arbeit abgeschlossen. Da war mir die Diskretion, die ich meinen Kunden verspreche, wichtiger. Kein Grund, die Sache aufzuwühlen. Außerdem wusste ihr Mann darüber Bescheid, dass sie bei mir gewesen ist. Zumindest hat sie es so dargestellt. Es wäre also seine Aufgabe gewesen, es der Kripo zu erzählen. In meiner Branche geht man nicht gerne unaufgefordert zur Polizei.«
»Horst wusste von Ihnen, nicht wahr?«
»Ja. Sie hat mit ihm offenbar darüber gesprochen, dass sie endlich die Wahrheit über ihre Herkunft wissen wollte. Und außerdem, Swentja, ist in dieser Vatersuche für mich kein Motiv erkennbar, die arme Friederike zu erwürgen.«
»Wirklich nicht?«, fragte ich zurück. »Das glaube ich Ihnen nicht. Was wäre denn gewesen, wenn sie ihren Erzeuger gefunden hätte? Wie reagiert so ein Mann nach all den Jahren auf eine erwachsene Tochter, die plötzlich aus dem Nichts auftaucht? Und wie reagiert vor allem seine Ehefrau?«
Renate seufzte, erhob sich, schloss das Fenster und dämpfte so das murmelnde Treiben in der Bruchsaler Innenstadt. Mir den Rücken zugewandt, kramte sie ein bisschen an einem Schreibtisch herum, Schubladen klapperten. Sie kam schließlich mit einem Ordner wieder zurück an den Tisch und reichte mir zwei Fotos. Zögernd legte sie noch ein drittes Bild nach.
»Damit Sie zufrieden sind! Das war die Mutter, das war der Papa. Und hier die beiden zusammen, mit Friederike, die damals noch klein war.«
Renate hatte recht. Das Foto von Friederikes Vater zeigte einen untersetzt wirkenden dunkelblonden Mann, der wahrscheinlich bei einer bestimmten Art von Frauen ganz gut ankam. Es haftete ihm eine Art vitaler Lüsternheit an.
Friederikes Mutter neben ihm war eine schmale dunkelhaarige Person, die weibliche Sanftheit ausstrahlte. Mit einer Stupsnase und dunklen Augen wie Kirschen. Die eher pummelige Friederike schien ganz gut zu ihren Eltern zu passen. Sie war ihnen nicht gerade wie aus dem Gesicht geschnitten, aber es war auch nicht so, dass man beim Anblick der drei sofort ausrief: »Die und diese Eltern? Niemals!«
Wie ich die beiden so vor mir sah, konnte ich mir schon ganz gut vorstellen, dass Frau Grüber den Wunsch gehabt hatte, verwöhnt und auf Händen getragen und zärtlich wie mit einer Feder gestreichelt zu werden. Ihr Gatte hingegen schien mir mehr einer fürs Grobe, beinahe Animalische zu sein. Er wäre nicht mein Fall gewesen.
Ich besah das Familienfoto näher. Vater Grüber hatte den Arm fest und besitzergreifend um seine Tochter gelegt.
Dennoch – die Geste wirkte liebevoll. Zu liebevoll?
Wenn er nicht Friederikes richtiger Vater gewesen war, ergaben sich ganz neue Schattierungen dieses Falles. Der Verdacht aus dem Fahrzeugmuseum kam wieder auf. Hatte sich dieser virile Mann an sein Kuckuckskind herangemacht und es sexuell belästigt? Rührte daher das Gefühl der Fremdheit, das Friederike vielleicht als Mädchen noch nicht hatte fassen können? War dieses lange verdrängte Gefühl erst bei der Ehefrau wieder aufgekeimt?
Ich wandte mich wieder der Rehbügel zu.
Die hatte inzwischen ihr Weißbier ausgetrunken und wischte sich den Mund mit dem
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