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Tod im Albtal

Tod im Albtal

Titel: Tod im Albtal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Klingler
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ihnen bewegte und wusste, wie unsere Leute dachten, was sie antrieb, was sie liebten und was sie fürchteten. Und nicht die gleichen Methoden anwenden, als hätten sich irgendwo unter einer Brücke zwei Landstreicher die Köpfe eingeschlagen.
    Frau Stolze stemmte die Arme in die Seite, musterte mich mit einem beunruhigend scharfen Blick. »Sie schwindeln. Sie tun es ganz gut, aber Sie schwindeln trotzdem. Warum sind Sie wirklich hier?«, fragte sie dennoch freundlich und setzte sich mir gegenüber auf einen der Plastikstühle. Mit dem Fuß kickte sie ein paar mausgraue Herrenhaare zur Seite.
    »Ich muss doch bitten! Wie kommen Sie denn darauf?«
    »Mein Kind, ich bin mehr als vierzig Jahre in diesem Beruf. Ich schneide die Haare für alte Leutchen, für einsame Männer, für alleinerziehende Mütter mit wenig Geld und manchmal für ein Kind, das überhaupt kein Geld hat. Leute wie Sie zählen nicht zu meiner Kundschaft. Diese Haare sind nicht von einer Friseuse wie mir, sondern von einem Coiffeur geschnitten worden. Und das nicht erst seit gestern, sondern schon seit langer Zeit. Und wenn Sie die Farbe wechseln wollen, dann gehen Sie zu dem und nicht zu mir. Außerdem steht Ihnen die Farbe, und das wissen Sie ganz genau!«
    Einsicht war der Weg zur Perfektion. Frau Stolze war nicht dumm, und sie hatte recht.
    »Also, was wollen Sie von mir?«
    Die Wahrheit war hier wahrscheinlich der einzige Weg, um die Wahrheit herauszufinden. »Friederike Schmied ist umgebracht worden.«
    Sie hob fragend die unmodisch dünn gestrichelten Augenbrauen.
    »Die Tochter von Marianne Grüber. Ihrer ehemaligen Partnerin.«
    »Ach je«, sagte Lieselotte Stolze mit Wärme. Ihre dunklen Augen wurden traurig wie die eines Clowns, der die Wahrheit über die Schlechtigkeit der Welt erkannt hat. »Stimmt, sie hieß jetzt Schmied, die Kleine. Ermordet? War das etwa die Frau in Ettlingen, die in der Zeitung stand? Die in der Boutique erwürgt worden ist?«
    Ich nickte. Die winzige Frau wurde vor meinen Augen rasant zehn Jahre älter. Ihre riesengroßen braunen Augen füllten sich mit Tränen.
    »Das ist ungerecht.« Sie schluckte. »War ein so liebes Kind. Aber unsicher. Sie passte irgendwie nicht in diese Welt. O Gott. Sie war nie wirklich glücklich. Das arme Ding.«
    »Friederike war unsicher? Wie meinen Sie das?« Das war mir natürlich ebenfalls aufgefallen, aber ich wollte es von ihr hören.
    »Friederike kam mir immer vor, als wäre sie für etwas anderes geboren und wisse nicht, wofür eigentlich.«
    Diese Analyse war richtig gut. Wenn ich jemals eine Psychologin bräuchte, würde ich zu dieser Frau gehen und nicht, wie die anderen Damen aus meinen Kreisen, zu einer Frau Doktor mit einer Warteliste so lang wie die Schwarzwaldhochstraße und Preisen wie ein Juwelier. Doch bisher war ich ohne seelischen Beistand ausgekommen. Ich ruhte in mir, und solange die Herbstcouture auf die Sommermode folgte, war meine Welt in Ordnung.
    Mamma und die italienische Oma hatten mir überdies ein Selbstbewusstsein eingebläut, das durch kaum etwas zu erschüttern war. Nur vielleicht durch die Tatsache, dass mir kürzlich ein schwarzes Pencil-Shirt von Max Mara in Größe sechsunddreißig am Bund etwas zu eng erschienen war! Aus Panik hatte ich zwei Tage lang nur Ananas und Reis zu mir genommen, was mir eine Verdauung wie von einem Alete-Baby bescherte.
    »Und Marianne Grüber?«
    »Das war eine von den sanften, hübschen Frauen, die ganz gut bei Männern ankommen. Außer auf Dauer vielleicht beim eigenen Mann. Die Kerle langweilen sich ja schnell. Und nehmen alles für selbstverständlich. Aber sie war eine gute, eine solide Kollegin und sehr beliebt.«
    »Warum hat sie bei Ihnen aufgehört?«
    »Aufgehört ist nicht das richtige Wort. Sie war über die Jahre immer mal wieder weg. Sie hatte ihre Lehre bei mir gemacht, dann hat sie vorübergehend pausiert, weil sie zusätzlich noch Fußpflegerin lernen wollte. Ich hielt das für Blödsinn, denn sie war wirklich gut genug als Friseurin. Hat tolle Hochfrisuren für Bälle und Premieren gemacht, und sie wurde viel von ersten Häusern aus der ganzen Gegend angefordert. Festliche Frisuren waren ihre Spezialität. Marktnische nennt man so was heutzutage.«
    Ich lächelte entgegenkommend. Frau Stolze hatte auch eine Marktnische gefunden, nur wusste sie es nicht. Die Alten und Einsamen.
    »Später hat sie dann ein weiteres Mal aufgehört, weil sie versuchte, sich in einem kleinen Dorf an der Grenze zum Elsass einen

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