Tod im Albtal
freundlich. Das Mädchen entfernte sich respektvoll.
Elena ging vor mir in die Hocke. Etwas, was ihr beneidenswert mühelos gelang. »Weißt du, Swentja, ich kannte Friederike privat eigentlich kaum, obwohl sie bei den ›Freundinnen des Balletts‹ begeistert mitmachte. Zum Schluss wurde sie sogar Schriftführerin, und da hatte ich manchmal mit ihr zu tun. Ein einziges Mal habe ich mit ihr Kaffee bei uns unten in der Theaterkantine getrunken, und da ist es alles aus ihr rausgesprudelt, was ich durch meine Verbindungsperson schon wusste. Sie hatte wohl nicht viele enge Freundinnen. Ich habe ihr versprochen, es niemandem zu sagen. Aber nun ist sie ja tot, und so ist der Vertrauensbruch nicht allzu groß. Aber ihr Mann sollte es möglichst nicht von uns beiden erfahren, oder?«
Elena stand aus ihrer Hocke so graziös und mühelos auf, wie es die Damen vom Ballett taten. Ich hörte nicht einmal ein Knacken.
»Dass die Polizei das nicht herausgefunden hat, kann ich kaum glauben, Elena.«
»Die Polizei!«, sagte Elena wegwerfend. »Was weiß die von Frauen und ihren Geheimnissen. Wir können unsere Spuren sehr gut verwischen, wenn es sein muss, nicht wahr? Swentja, halte mich auf dem Laufenden, wenn du magst.«
Ich nickte.
»Sie war ein armes Ding, Swentja. So grobschlächtig und fühlte sich ausgerechnet zum Ballett hingezogen. Ich bedauere ihren Tod. Er hätte nicht sein müssen.«
Sie lauschte diesem Satz einen Moment nach. Dann seufzte sie und wandte sich endgültig zum Gehen. »Meine berufliche Welt ist nicht gerade für Aufrichtigkeit bekannt, Swentja. Häuser, die aus Pappmaché sind. Kulissen. Schminke. Kleider, die nur einen Abend halten. Sogar beim Ballett, wo man eigentlich so wenig täuschen kann, ist nicht alles, wie es scheint. Aber das meine ich so ehrlich wie selten etwas, und Gott soll mich strafen, wenn es nicht wahr ist: Dieses liebe Mädchen hätte nicht sterben müssen.«
* * *
Eine gut aussehende Frau genoss gewisse Vorteile im Leben. Vorausgesetzt, sie hatte Verstand unter ihrem hoffentlich perfekt geschnittenen Pony und dachte nicht bei jedem Mann, der ihr nachglotzte oder Komplimente machte, er wollte sie im katholischen Ritus heiraten, sich mit ihr lebenslang über Thomas Mann unterhalten und sie ansonsten keusch verehren. Deshalb wurden so viele schöne Frauen enttäuscht. Sie heirateten reiche Männer, verkannten ihre wahre Rolle an deren Seite und fielen aus allen Wolken, wenn sie feststellten, dass diese Männer nicht nur gefühlskalt waren, sondern sie auch nach zehn Jahren durch ein neueres Modell ersetzten.
Auch Horst Schmied wollte mit mir angeben, denn mit mir gesehen zu werden, hob den Status dieses mittelmäßigen Langweilers. Vor allem, weil ich kein durch die einschlägige Kneipenwelt Mittelbadens irrlichterndes Society-Groupie war, sondern eine verheiratete, wohlhabende Frau, der man leider nichts anderes nachweisen konnte. Andernfalls wäre rasch das Gerücht aufgekommen, ich selbst hätte Horst zum Witwer gemacht, um Frau Schmied zu werden und in gehobene politische Kreise vorzustoßen.
Wir trafen uns in einem Café vor dem Kino am Dickhäuterplatz, dem schön renovierten ehemaligen Kasernenareal von Ettlingen. Es war nicht gerade mein Stil, vor einem Kino auf Kies und Holzbänken wie auf dem Präsentierteller zu sitzen, doch das Kino mit dem Flair der sechziger Jahre galt als originell und war deshalb als Treffpunkt auch in meinen Kreisen erlaubt.
Nachdem mir Horst minutenlang vorgejammert hatte, es sei nicht leicht, allein zu sein, kam ich zur Sache. »Horst, die Tragödie mit Friederike beschäftigt mich immer noch.«
»Kein Wunder!«, erwiderte er schmallippig.
Ich ignorierte die Anspielung.
»Ich habe deshalb nochmals über sie und ihre Familie nachgedacht und glaube, es würde sich lohnen, in diesem Punkt genauer nachzuforschen.«
Horst sah mich vorwurfsvoll an. »Jetzt fängst du auch noch damit an. Ich habe Friederikes Mutter doch gekannt. Die Frau war vollkommen harmlos und anständig. Es gab dort keine dunklen Geheimnisse. Das hat sich Friederike alles eingebildet. Hätten wir endlich eigene Kinder bekommen, dann hätte sie darüber gar nicht mehr nachgedacht. Sie war jetzt doch bei Dr. Hellali in Behandlung. Alles in Ordnung. Bestimmt wäre sie bald schwanger geworden.«
Ob dann alles besser gewesen wäre? Ich konnte mir schwer vorstellen, wie Horst sich jetzt um ein verlassenes kleines Kind kümmerte.
»Horst, lassen wir das. Ich habe ja kein
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