Tod im Albtal
verdächtig. Manche sagen … egal. Du gehst mit ihr einkaufen, lässt sie kurz allein und findest sie tot. Grauenhaft.«
Ich nickte ernst.
Regina fuhr ein wenig zu salbungsvoll fort, und man gewann den Eindruck, sie hätte den Satz schon oft geübt: »Man liest von solchen Verbrechen oder sieht verstümmelte Leichen im Fernsehen, und da scheinen sie ganz normal, aber wenn so etwas im eigenen Kreis geschieht, hat es etwas Unwirkliches. Das ist doch eine verkehrte Welt.«
Leider war es wirklich so. Angesichts Tausender von Toten irgendwo auf der Welt war ich erschüttert, und doch konnte ich zu den Nachrichten genüsslich eine Tranche Räucherlachs mit meiner berühmten Joghurt-Senf-Honig-Dill-Marinade essen. Doch der einzige Mord in meiner unmittelbaren Umgebung, der Tod von Friederike, ihr jammervoll hässlicher Anblick, ließ mich seit Wochen nicht los. Sieh, der Schrecken liegt so nah, dachte ich.
»Ja, die Einkaufstour mit Friederike hatte ich mir auch anders vorgestellt. Ich kannte sie allerdings nicht sehr gut. Sie war ja etliches jünger als ich. Erzähl mir doch ein wenig von ihr.«
»Was soll ich dir von Friederike erzählen? Im Grunde war sie eine harmlose kleine Frau. Vielleicht war sie sogar ein bisschen naiv. Bei uns hatte sie nur eine Teilzeitstelle in der Grundschule. Vor den Ferien unterrichtete sie eine dritte und eine vierte Klasse in Deutsch. In der vierten Klasse war sie sogar Klassenlehrerin, weil die Vollzeitkraft im Mutterschutz ist.«
»Wie war sie als Lehrerin?«
Die Kripo war mit Sicherheit bei Regina Setzler gewesen, denn sie antwortete rasch und routiniert.
»Sie war beliebt, obwohl sie mitunter überraschend streng sein konnte. Oder, sagen wir, konsequent. Sie war diszipliniert und achtete auf ordentliches Betragen, auch wenn das heutzutage manchmal unpopulär sein mag. – Soweit ich weiß, bemühte sie sich sehr um Gerechtigkeit. Aber von dem Vorfall habe ich diesem Kriminalbeamten schon erzählt.«
»Welchem Vorfall?«
»Der Morddrohung gegen Frau Schmied. Durch diese unsägliche Mutter. Das Kind ist inzwischen in einem Internat untergebracht. Eine freie christliche Einrichtung irgendwo im Hessischen. Der Junge soll unbedingt Abitur machen, koste es, was es wolle.«
Regina schüttelte den Kopf. Ich schrieb in Gedanken mit. Eine Morddrohung gegen Friederike. Ich würde mein Blatt erweitern müssen.
Mit etwas falschem Unterton fuhr Regina fort: »Aber man hat dich ja mitten in Ettlingen mit diesem interessanten Kripomenschen zusammen gesehen. Er wird dir davon erzählt haben. Und du warst bestimmt froh, dass du nicht mehr ganz allein verdächtig warst, hm?«
Ich schwieg dazu.
Regina zwinkerte mir vertraulich zu, was weder zu ihr und schon gar nicht zu ihrem piefigen Hermès-Tüchlein passte.
»Nicht? Nun, die dürfen privat nichts von ihren Fällen erzählen. Das wäre Verletzung des Dienstgeheimnisses. Und ihr wart doch privat zusammen, oder?«
Meine Güte. In diesem geruhsamen Kleinstädtchen wurde man wirklich ständig beobachtet. Und natürlich hatte Hagen mir nichts von dieser Morddrohung erzählt.
Um mehr zu erfahren, musste ich jetzt schnell und geschickt reagieren. Wie sagte jemand in Shakespeares »Hamlet«: »Ein Lügenköder fängt den Wahrheitskarpfen.« Ich hatte das irgendwann in einer langweiligen Aufführung gehört und nie mehr vergessen. Ein drastisches Bild.
»Nun«, sagte ich kühl, »was ist schon privat, Regina? Alles Definitionssache. Ja, wir haben selbstredend auch über diese Dinge, die du da andeutest, gesprochen. Aber natürlich nicht ausführlich. Deshalb bin ich – mehr oder weniger auf seinen Rat – bei dir. Die Polizei bezieht heutzutage die Bevölkerung mehr in die Ermittlungen ein als früher. Ich möchte da nicht deutlicher werden.« Der Wahrheitskarpfen biss zumindest zaghaft an.
»Wie du meinst, Swentja. Aber diese Mutter war schon mehr als nur ein bisschen verrückt. Der Kleine tut mir leid. Da reden wir immer von den angeblich so rückständigen Eltern in islamischen Familien, aber der Jens hat es mit seinen Leuten auch nicht besser getroffen. Es gibt hier und da religiöse Fanatiker. Mehr kann ich dazu nicht sagen, denn heutzutage muss man sehr aufpassen, was man äußert. Du bist sofort in einer Schublade und kommst nicht mehr raus.«
Verständnisvolles Lächeln meinerseits.
Ich speicherte aber sofort: Das Kind hieß also Jens. Die Namen sollten sich herausfinden lassen. Es gab bestimmt auch heute noch Kinder, die für eine
Weitere Kostenlose Bücher