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Tod im Apotherkerhaus

Tod im Apotherkerhaus

Titel: Tod im Apotherkerhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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nicht. Aber dann hatte er das Blut am Boden gefühlt, eine richtige Pfütze war es gewesen. Eigentlich, wenn er es recht bedachte, viel zu viel. Schlagwunden mit einer stumpfen Waffe wie seinem Spazierstock riefen nicht so starke Blutungen hervor.
    Und doch war er die ganze Zeit der felsenfesten Überzeugung gewesen, er habe gemeuchelt. Blieb die Frage: Was hätte sich anders entwickelt, wenn er gleich am Morgen mit reinem Gewissen zur Wachstation gerannt wäre, seine Geschichte zum Besten gegeben hätte und anschließend zu seinem Apothekenhaus zurückgekehrt wäre? Der Imitator hätte ihn hinter dem Rezepturtisch erwartet und ihn wahrscheinlich trotzdem als Mörder bezeichnet. Mindestens jedoch als Lügner und Hochstapler. Vielleicht hätte er auch die Büttel holen und ihn einlochen lassen. Letzteres wäre ihm sehr zupass gekommen, denn er hätte den Thesaurus dann umso leichter fortschaffen können. Nein, es war so oder so alles vertrackt. Rapp merkte, dass seine Gedanken sich wieder einmal drehten. Aber gab es denn überhaupt einen Ausweg aus seiner Situation? Eine Rettung, jetzt, wo es sicher schien, dass er keine Schuld auf sich geladen hatte? Er überlegte hin und her und kam zu der Erkenntnis, dass der Imitator nach wie vor alle Trümpfe in der Hand hielt. Der Imitator war Rapp, und Rapp war Hauser. Diese Konstellation richtig zu stellen war ein hoffnungsloses Unterfangen. Es zu versuchen, hätte schon am Anfang nicht geklappt, und jetzt, nach Wochen, würde es erst recht nicht mehr gehen. Aber wer, in drei Teufels Namen, verbarg sich hinter der Figur des Imitators?
    Rapp wurde aus seinen Grübeleien gerissen, denn die Lippen des Physikus bewegten sich wieder. Die Worte kamen so leise, dass sie kaum zu verstehen waren: »Der Imitator ... ich ... weiß nicht, ob es wichtig ...«
    »Ja?« Rapp beugte sich so weit herunter, dass sein Ohr fast die Lippen de Castros berührten.
    »Der Imitator zieht sich ... in der Börse um ... zieht sich um da ... ja.«
    Der Sterbende schwieg. Rapp wollte ihm weiteres Wasser verabreichen, unterließ es aber, weil er spürte, dass es nicht mehr möglich war. Was hatte der Physikus da eben geflüstert? Der Imitator zog sich in der Börse um? Nun, dass er jeden Tag dorthinging, war bekannt, aber dass er sich dort umzog? Und dann wusste Rapp plötzlich, warum Isi und Fixfööt immer nur beobachtet hatten, dass er ins Gebäude hineinging, aber niemals, dass er wieder herauskam. Der Mann wechselte die Kleidung. Und verließ als ein anderer das Haus. Aber wer war er dann?
    Abermals bewegten sich die Lippen. De Castros schwarze Augen blickten Rapp unverwandt an. »Scba... Schalom ... Teo.«
    »Leb wohl, Fernäo.« Rapp spürte, es ging zu Ende. Er schluckte, merkte, wie ihm die Tränen kamen und schämte sich ihrer nicht.
    Die schwarzen Augen starrten ihn noch immer an. Dann brachen sie.
    Rapp drückte sie zu und schluchzte auf. Ein großherziger Mensch hatte die Erde verlassen, ein selbstloser Arzt, ein wahrer Samariter. Sie hatten einander nur wenige Male gesehen, aber er empfand tiefe Trauer, einen nie gekannten Schmerz, wie er wohl nur entsteht, wenn man seinen besten Freund verliert. »Ich habe dir so vieles zu verdanken«, murmelte er, »so vieles. Ich werde es nie wieder gutmachen können. Aber ich werde dich besuchen. Auf dem Jüdischen Friedhof werde ich dich besuchen und mit meinen Gedanken bei dir sein, das verspreche ich dir.«
    Lange saß er so, und erst als ein Leichenwagen herangeschoben wurde, um die Toten fortzukarren, gab er seinen Platz auf. Er erhob sich und schlug, ohne nach links oder rechts zu blicken, den Weg zu Opas Hof ein.
    An der nächsten Straßenecke stand sie. Er hatte sie zunächst nicht erkannt, aber sie war es tatsächlich. Mine stand da und schien auf ihn zu warten, ruhig und gefasst, die blonden Haare von einem rußgeschwärzten Kopftuch geschützt, die übrige Kleidung so schmutzstarrend, als hätte sie sich in Staub und Asche gewälzt.
    Er blieb stehen und wusste nicht, wohin mit seinen Händen. Schließlich krächzte er: »De Castro ist tot.« »Ich weiß«, antwortete sie.
    »Aber ...« Er verstand nicht. »Wieso kannst du das wissen?« »Hab dich beobachtet. Die ganze Zeit.« »Ja, aber ... ?«
    »War ja auch die ganze Zeit in deiner Nähe, hab sogar mit in der Kette gestanden. Oder glaubst du, ich würd zu Haus rumsitzen, wenn's drei Straßen weiter brennt?«
    »Nein ... äh, natürlich nicht.« Wenn er nur wüsste, wohin mit seinen Händen!

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