Tod im Apotherkerhaus
geschnappt? Rapp wünschte es sich inbrünstig. Zu seiner Luftknappheit gesellten sich jetzt starke Seitenstiche. »Ich ... ich ... kann nicht mehr«, japste er nach kurzer Zeit. Fixfööt hielt an. »Das hat grad noch mal geklappt«, sagte er, ohne auf Rapp einzugehen. Kaum außer Atem, fuhr er fort: »Aber wir sollten uns nicht drauf verlassen. Die Männer der Nachtwache kennen sich hier aus, und man weiß nie, ob nicht noch ein paar weitere irgendwo rumschwirren. Am besten, wir fliehen über die Dächer.«
In der folgenden Stunde lernte Rapp das nächtliche Hamburg aus einer ganz neuen Perspektive kennen: aus dunkler, schwindelnder, gefährlicher Höhe. Er stieg Treppen empor und Leitern hinab, erklomm abermals Treppen, schritt Dachböden entlang, kletterte über Simse, hangelte sich an freistehenden Geländern weiter und sprang von Dach zu Dach. So manches Mal weigerte er sich, weiter zu gehen, doch immer wieder half Fixfööt ihm, indem er ihn stützte oder aufmunterte. Es war wohl gegen Mitternacht, als er und Fixfööt endlich Opas Hof erreicht hatten. Sie standen oben auf den Wohnbauten und schickten sich an, die steile Leiter zur Mansarde zu erklettern. Da öffnete sich in der Dachschräge die Luke, und Mine erschien auf der kleinen Plattform. Rapp war noch so angespannt, dass er sich kaum über ihren Anblick freuen konnte. Als sie fragte, wie es ihnen beiden ergangen sei, ließ er Fixfööt für sich antworten. Er war zu müde und zu erschöpft. Er fühlte sich wie ein Böhnhase.
Kapitel fünf,
in welchem Teo seinen Thesaurus zum Teil verliert, dafür aber ein ganzes Menschenleben rettet.
R app stand steif wie ein Ölgötze vor dem Fenster und musste eine eingehende Untersuchung über sich ergebnen lassen. Mine betrachtete jeden Quadratzoll seines Gesichts und fragte schließlich: »Tut's noch sehr weh?« »Aber nein, nicht der Rede wert.« Selbst wenn dem so gewesen wäre, Rapp hätte es niemals zugegeben.
Mine kam zu dem Schluss: »Das Wachs hat'n bisschen deinen Bart angesengelt. Aber eigentlich ist nix zu sehen. Nur zu riechen.« Sie rümpfte die Nase. »Es mieft nach verbrannten Haaren.«
Das war Rapp peinlich. Mine hatte sich letzte Nacht und auch heute Morgen so rührend um ihn gekümmert, dass er nur den besten Eindruck auf sie machen wollte. »Tut mir Leid, Mine, ich würde den Bart ja abnehmen, aber ich glaube, es ist besser, wenn ich ihn weiter wachsen lasse. Ich sehe dann eher aus wie ein, äh, Mann aus dem Volke.« Das stimmte in der Tat, denn seit Ludwig der XIV. sich Anno 1680 von seinem schmalen Oberlippenbärtchen getrennt hatte und bis zu seinem Tod nur noch glattrasiert aufgetreten war, galt bei den Herren von Stand die Bartzier als untragbar. Umgekehrt hielten sich einfache Soldaten, Bauern und Schiffer nicht an diese Regelung.
»Die Haut muss behandelt werden«, stellte Mine fest. »Ich glaub's nicht, wenn du sagst, es tat nicht weh. Aber ich hab nix da.« »So schlimm ist es wirklich nicht. Doch warte ...« Rapp war ein
Gedanke gekommen. Vielleicht begleitete Mine ihn zu seinem Apothekenhaus? Das hätte einerseits den Vorteil, dass sie eine Arznei für ihn erwerben konnte, andererseits würde der Besuch Aufschluss darüber geben, inwieweit der falsche Apotheker sich tatsächlich in Rapps Metier auskannte. Darüber hinaus ergäbe sich vielleicht die Möglichkeit, ein Auge auf den zweiten Stock zu werfen. »Nun, wenn du darauf bestehst, Pingue galli-nae ist bei Hautverbrennungen ein sehr probates Mittel. Wir könnten zur Deichstraße gehen und es holen.« »Was? Aus deiner Apotheke? Und wenn der Imitator wieder da ist? Hast du keine Angst, dass er dich erkennt?« Rapp schürzte die Lippen. »Tja, das ist natürlich die Frage. Ob er mich erkennt, hängt davon ab, ob er bei dem Überfall dabei war. War er es nicht, brauche ich mir weiter keine Gedanken zu machen. War er es aber doch und hat mich demzufolge ohne Kleidung und Perücke gesehen, könnte es in Betracht kommen. Andererseits war es dunkel, alles ging sehr schnell, und außerdem liegt das Ganze nun bald drei Tage zurück. Mein Bart ist, wie du selber siehst, kräftig ins Kraut geschossen, was mich anders aussehen lässt, und das rotbraune Leinenhemd und die Hose von Franz Witteke tun sicher ein Übriges. Dazu die Holzpantinen aus deines Vaters Erbe, die mir, ohne den Verband um meine Zehen, Gott sei Dank passen. Nein, nein, ich glaube nicht, dass der Imitator mich erkennt.« »Die Hose muss ich bei Gelegenheit
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