Tod im Beginenhaus
ist denn hier geschehen?», rief Albert und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. Mit wenigen Blicken erfasste er die Unordnung und den Verband um Vitus’ Finger und setzte zu einem Donnerwetter an. Dann sah er die Glasscherben und wurde blass. «Oh, heiliger Vater, meine Phiolen. Sie sind zerbrochen!»
«Das ist leider nicht mehr zu ändern, Vater.» Mit einem besänftigenden Lächeln trat Adelina neben ihren Vater und legte ihm eine Hand auf den Arm. «Du hättest sie schon längst nach unten bringen müssen. Vitus ist nun einmal ungeschickt, und er …»
«Vitus hat sie kaputtgemacht?» Albert blickte starr auf seinen Sohn, der sich mit dem Topf auf die Ofenbank gesetzt hatte und in ein gemurmeltes Selbstgespräch vertieft war. «Adelina, du musst besser auf ihn aufpassen. Weißt du, was die Glasbläser für eine große Phiole verlangen?»
«Vater», plötzlich hatte sie das Gefühl, selbst losheulen zu müssen. «Bitte geh wieder hinüber in die Apotheke. Bestimmt kommen noch Kunden; die solltest du nicht warten lassen.»
Albert warf noch einen letzten schmerzerfüllten Blick auf die Scherben, dann nickte er und verließ mit hängenden Schultern den Raum.
Mit Vitus’ Hilfe richtete Adelina das Regal wieder auf, dann scheuchte sie ihren Bruder ebenfalls hinaus.Sie fegte die Glasüberreste zusammen, räumte das Geschirr wieder an seinen Platz und begann, ihre Dosen und Schachteln mit den Vorräten zu sichten und neu zu ordnen. Auch die Lade mit den sauberen Tüchern füllte sie neu auf. Während sie ein Stück Leinen in gleichmäßige Streifen schnitt, rannen ihr ohne Unterlass Tränen über die Wangen.
Sie blickte auf, als ihr Vater wieder die Küche betrat. Finster sah er ihr dabei zu, wie sie die Leinenstreifen forträumte und sich die Tränen abwischte. Dann sagte er: «Du musst besser auf ihn aufpassen. Du weißt so gut wie ich, dass er ständig Unsinn anstellt. Er ist eben ein Simpel, ist dir das nicht klar?»
«Vater!» Entsetzt schlug Adelina die Hand vor den Mund. «Wie kannst du so etwas sagen?»
«Es ist doch die Wahrheit», grollte er und verschränkte die Arme vor der Brust. «Und vielleicht hätten wir nicht so lange die Augen davor verschließen dürfen. Hast du eine Ahnung, was hinter seinem, hinter unserem Rücken über ihn und über uns geredet wird? Hast du eine Ahnung, was ich mir eben von den Kunden anhören musste?»
«Natürlich weiß ich das.» Adelinas Hände wurden kalt, und sie spürte, wie die gleiche unangenehme Kälte auch vom Rest ihres Körpers Besitz ergriff. Sie starrte ihrem Vater wütend ins Gesicht. «Er ist ein Simpel. Großer Gott, ich habe ihn aufgezogen!» Mit jedem Wort wurde ihre Stimme lauter. «Ich habe mich um ihn gekümmert, als Mutter gestorben ist. Ich habe mich um den Haushalt gekümmert, ich habe mich um dich gekümmert. Wie kannst du mit einem Mal so über ihn reden?»
«Ich sage nur, wie es ist.» Albert bekam rote Flecken auf den Wangen. Er war es nicht gewohnt zu streiten,schon gar nicht mit seiner Tochter. Adelina sah, dass es ihm bereits Leid tat, überhaupt etwas gesagt zu haben. Doch sie konnte nicht so einfach darüber hinweggehen.
«Er ist dein Sohn. Er braucht dich. Liebst du ihn denn nicht?»
«Kind, Lina», er legte ihr eine Hand auf die Schulter, doch sie schüttelte sie ab. Traurig blickte er zu Boden. «Natürlich liebe ich ihn. Er ist doch … mein Junge.» Plötzlich hob er den Kopf wieder, und seine Augen wirkten ungewöhnlich streng. «Dennoch musst du ihn besser im Auge behalten.»
«Ich kann nicht überall sein, Vater.»
«Vielleicht solltest du dich weniger in der Stadt und in diesem Beginenhaus herumtreiben. Dann hättest du auch mehr Zeit, dich um deinen Bruder zu kümmern. Du tätest ohnehin gut daran, dich künftig mehr deinen Hausfrauenpflichten zu widmen. Ludolf Beichgard hat nach dir gefragt.»
«Beichgard? Der Weinhändler? Was hat –» Adelina brauchte einen Moment, um den Themenwechsel zu begreifen. Albert deutete auf die Ofenbank, und benommen setzte sie sich.
«Ich denke, er ist an einer Heirat ernsthaft interessiert. Ich habe vor, ihn für einen der kommenden Sonntage zu uns einzuladen.»
«Vater!» Der Zorn, den Adelina eben noch verspürt hatte, verflog. An seine Stelle trat erst Schreck, dann ungläubige Angst. «Ich werde nicht heiraten.»
«O doch, das wirst du. Ich habe schon viel zu lange gewartet. Und Ludolf ist ein guter Mann. Er würde sicher auch gestatten, dass du dich weiter um Vitus
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