Tod im Beginenhaus
Ihr es. Ich war schwanger von Rudolf. Er hat mir die Welt versprochen und mich dann allein gelassen. Was hätte ich tun sollen? Wie hätte ich es erklären sollen? Vater konnte ich es nicht sagen. Also bin ich zu Ludmilla gegangen.Sie hat es weggemacht.» Heiße Tränen strömten ihr nun übers Gesicht, doch sie achtete nicht darauf. Sie starrte ihn noch immer an. Sein Gesicht war versteinert, so wie ihr Herz.
«Ihr habt das Kind abgetrieben? Allein, bei dieser Frau?»
«Die schlimmste Sünde, die eine Frau begehen kann.» Sie verzog verbittert die Mundwinkel. «Und nun überlegt noch einmal, ob Ihr mich nicht hasst.»
Sie ging an ihm vorbei und achtete nicht mehr darauf, ob er ihr folgte oder nicht. Ihr Handgelenk schmerzte, bestimmt war es verstaucht. Aber noch mehr schmerzte ihr Innerstes. Nie hätte sie vermutet, dass es so sehr schmerzen konnte.
***
Sie schaffte es gerade noch vor Torschluss in die Stadt. Burka war weit hinter ihr zurückgeblieben; in einem der Vororte hatte sie ihn aus den Augen verloren. Vielleicht war er in eine Schänke gegangen, vielleicht auch zu einem Bekannten. Sie wollte nicht darüber nachdenken. Und außerdem hatte er als Medicus Sonderrechte. Das wusste sie von anderen Ärzten, die sie kannte. Die Torwächter würden auch mitten in der Nacht die kleine Pforte für ihn öffnen. Flüchtig dachte sie daran, dass es nun schon zu spät war, tatsächlich zur Schneiderin zu gehen. Bis zum Sonntag würde das neue Kleid nicht fertig sein. Doch was spielte es für eine Rolle? Sie hatte ihr Geheimnis verraten.
Zu Hause angekommen, hätte sie sich am liebsten in ihr Bett verkrochen. Doch Franziska war bereits mit dem Abendessen fertig, und die Familie erwartete, dass sie mit ihr aß.
Umso erstaunter war sie, dass ihr Vater keine Silbe über ihr spätes Heimkommen verlor. Er erzählte von den Ereignissen des Tages, von säumigen Schuldnern der Apotheke und von den unaufhaltsamen Fortschritten seiner alchemistischen Versuche. Und je mehr Zeit verging, desto mehr hatte Adelina den Eindruck, dass er ihr langes Fortbleiben gar nicht bemerkt hatte. Unbehaglich sah sie zu Franziska hinüber, die ebenfalls ratlos mit den Schultern zuckte.
***
Burka kam erst spät in der Nacht zurück. Adelina hatte die Tür unverriegelt gelassen, damit er ins Haus konnte. Sie hörte ihn mit schweren Schritten die Stiege hinaufpoltern und ärgerte sich, weil Vitus einen leichten Schlaf hatte. Dann knarrten die Deckenbalken.
Offenbar wanderte er wieder in seiner Kammer auf und ab. Das Geräusch drang durch das ganze Haus. Schließlich wurde es aber doch still oben. Adelina zog ihre Decke bis zur Nase hoch und versuchte einzuschlafen. Es gelang ihr nicht. Sie fühlte sich elend wie schon lange nicht mehr. Ihr Magen schmerzte, ebenso ihr Herz. Die Augen brannten ihr, aber sie wollte nicht mehr weinen. Sie wollte auch nichts mehr fühlen, am liebsten nie mehr.
Plötzlich hörte sie wieder Schritte von oben. Burka kam noch einmal die Treppe herunter. Er würde tatsächlich noch alle aufwecken. Vor ihrer Kammer hielten seine Schritte an. Wie erstarrt lag sie in ihrem Bett und lauschte. Was wollte er?
Eine Weile blieb es still, dann hörte sie ein Klopfen an ihrer Tür. Sie rührte sich nicht. Wieder klopfte es.
«Adelina?», hörte sie ihn flüstern. «Seid Ihr nochwach?» Er sprach mit schwerer Zunge. Hatte er getrunken? «Adelina, ich muss Euch etwas sagen.» Sie hörte sein schweres Atmen. Dann flüsterte er weiter. «Ist mir eben erst eingefallen. Wenn die Kranken im Hospital mit diesem Korn vergiftet wurden, und Ihr beinahe auch, Adelina, dann ist Eure Freundin Reinhild unschuldig.» Er hustete, dann war es einige Augenblicke ganz still. Sie lag wie tot in ihrem Bett.
«Adelina, habt Ihr gehört?»
Dann vernahm sie seine Schritte, die sich, diesmal sehr schleppend, entfernten. Die Stiege knarrte und ächzte erneut. Wirklich ein Wunder, dass niemand sonst davon aufwachte.
Adelina atmete heftig aus und merkte erst jetzt, dass sie die Luft angehalten hatte.
Reinhild war unschuldig, natürlich. Denn es war unwahrscheinlich, dass es zwei Mörder gab. Adelina starrte in die Dunkelheit. Reese musste davon erfahren. Auch wenn Burka glaubte, der Kaufmann habe etwas mit den Morden zu tun. Sie glaubte das nicht. Hilger war Reeses Gegner. Und Hilger wollte das Grundstück der Beginen. Bei ihm liefen die Fäden zusammen. Nur, wie sollte sie das jemals beweisen? Und wer waren seine Helfer? Es gab keine Zeugen, die
Weitere Kostenlose Bücher