Tod im Dünengras
verknotete die Schnürbänder miteinander, damit sie nicht einen
der beiden Schuhe unbemerkt verlor. Tove würde sie nicht vermissen.
Wahrscheinlich hätte er sie sowieso nicht getragen, weil er alles, was von
Fietje kam, verächtlich behandelte. Und ganz sicherlich hätte er sie Mamma
Carlotta nicht freiwillig überlassen. Sie hatte den ganzen Abend darüber
nachgedacht, ob es nicht das Einfachste war, Tove um diese Schuhe zu bitten,
die so wichtig sein konnten für Eriks Ermittlungen. Aber sie hatte diese
Möglichkeit bald verworfen. Tove würde nichts tun, um Erik bei seiner Arbeit zu
helfen. Im Gegenteil! Er hätte die Schuhe vermutlich auf der Stelle vernichtet,
wenn er erfahren hätte, dass er der Polizei damit einen Dienst erweisen konnte.
Das wollte sie nicht riskieren.
Sie blieb wie angewurzelt stehen und starrte in die Nacht hinaus.
Erst jetzt gestand sie sich den wahren Grund ein, warum sie nicht mit Tove über
diese Schuhe reden wollte. Zu groà war ihre Angst vor seiner Antwort. Und auch
Fietje wollte sie nicht nach den Schuhen fragen, zu groà war hier ihre Sorge,
dass er sie erstaunt ansehen und erklären würde, dass er sie noch nie gesehen
hätte. Tove hatte SchuhgröÃe siebenundvierzig und allen Grund, Francesco zu
hassen. War er auch in der Lage, einen Menschen umzubringen? Mamma Carlotta
brauchte nicht lange zu überlegen, um dann heimlich zu nicken. Ja, Tove war so
ein Mann. Aber er war auch jemand, den sie genauso heimlich ihren Freund
nannte. Und einen Freund durfte man nicht verraten.
Genauso wenig aber durfte ein Schuldiger vor seiner gerechten Strafe
geschützt werden. Nein, wer Schuld auf sich geladen hatte, musste dafür
geradestehen! Auch Tove! Aber wenn er etwas Schreckliches getan hatte, dann war
es Eriks Aufgabe, das herauszufinden. Niemand konnte von Mamma Carlotta
verlangen, dass sie einen Freund ans Messer lieferte, solange seine Schuld
nicht bewiesen war. Sie würde für Gerechtigkeit sorgen, indem sie Erik diese
Schuhe brachte. Aber den Fall aufklären musste er allein.
Mamma Carlotta kletterte auf die Fensterbank, was ihr, mit den
Turnschuhen unter dem Arm, nicht leichtfiel. Auch diesmal lieà sie sich
zunächst auf dem Fenstersims nieder, um sich dann mit den FuÃspitzen in
Richtung Getränkekisten vorzutasten. Dies war der Moment, in dem sie das
Geräusch hörte. Und im selben Augenblick wusste sie, dass sie nicht mehr allein
war.
Giovanna Corrado war eine groÃe, kräftige Frau mit einer
sportlichen Figur. Sie war ein paar Jahre jünger als Mamma Carlotta â für ihre
Kleidung, die Frisur und das Make-up hätte sie allerdings noch weitere zehn
Jahre jünger sein müssen. Fast hätte Erik sie übersehen, weil ihr
Erscheinungsbild sich in keinem Punkt mit seinen Erinnerungen deckte.
Anscheinend hatte er sie mit ihrer Schwester Maria, Francescos Mutter,
verwechselt. Aus der war eine graue Maus geworden, nachdem der Vater ihres
Sohnes sie verlassen hatte, Giovanna jedoch war alles andere als das. Ihre
kinnlangen Haare waren mokkabraun gefärbt und mit rötlichen Strähnchen
versehen. An ihren Ohren klimperten riesige goldene Ringe, um den Hals trug sie
eine Kette, an der ein hölzerner Elefant baumelte. Ihre Jacke, das T-Shirt und auch ihre Jeans waren
mindestens zwei Nummern zu klein.
Erik geriet ins Schwitzen bei der Vorstellung, Giovanna könnte tief
Luft holen oder durch kräftiges Ausschreiten die Nähte ihrer Hose strapazieren.
Zum Glück waren ihre Stiefeletten mit den zehn Zentimeter hohen Absätzen dafür
denkbar ungeeignet. Als Giovanna ihn begrüÃte, kam er sich klein, breit und
unscheinbar vor. Da half es nichts, dass sie jauchzte: »Ich hatte ganz
vergessen, wie ähnlich du Enzo Meurer siehst! Er ist auch so ein maskuliner
Typ!«
Nun, Erik hatte nichts dagegen, ein maskuliner Typ zu sein, aber mit
dem Schlagersänger wollte er auf keinen Fall verglichen werden. Er erinnerte
sich, dass er einmal gezwungen worden war, sich einen Fernsehauftritt
anzusehen, bei dem Meurer in hautenger Jeans, weiÃen Lackschuhen und geblümtem
Hemd vor der Kamera herumzappelte, während Giovanna mit drei anderen Mädchen im
Hintergrund rhythmisch von einem Bein aufs andere gewippt war und in die Hände
geklatscht hatte. Nein, mit Enzo Meurer wollte Erik nichts zu tun haben.
Giovanna bewegte sich trotz ihrer schwindelerregenden Stilettos sehr
behände
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