Tod im Dünengras
auf sein Auto zu, während Erik sich mit ihrem Koffer abplagte. Das
Gewicht machte ihm Sorgen. Wie lange gedachte Giovanna eigentlich zu bleiben?
Während er vom Flugplatzgelände rollte, erkundigte er sich höflich
nach Enzo Meurer und drückte sein Bedauern darüber aus, dass dessen Karriere so
schnell ein Ende gefunden habe. »Er wird wohl wieder als Bademeister am
Gardasee arbeiten?«
Aber Giovanna winkte entrüstet ab. »No, no! Enzo nutzt die Kontakte
von früher. Er hat eine Künstlervermittlung gegründet und betätigt sich auÃerdem
als Event-Manager.« Nun erfuhr Erik auch, dass Giovanna ihren früheren
Geliebten unterstützte, sich um die italienische Filiale von
Meurer-Entertainment kümmerte und dabei gut verdiente. »Enzos gröÃter Hit läuft
noch heute auf den Volksmusiksendern.«
Giovanna schöpfte tief Luft, was ihr T-Shirt erstaunlicherweise aushielt, spreizte die Arme vom
Körper, als wollte sie vom Boden abheben, und dann setzte ihr Sopran ein, der
wirklich sehr schön war: kräftig und weich zugleich, volltönend auch in den
Höhen, mit einer interessanten Rauheit in der Mittellage. Aber da Erik nicht
damit gerechnet hatte, dass Giovanna Corrado singend vor der Pathologie
vorfahren wollte, erschrak er zu Tode. Hastig drehte er das Seitenfenster hoch,
als Giovanna den Refrain hinausschmetterte: »Deine Liebe ist so süà wie roter
Wein, deine Liebe wird immer berauschend für mich sa-ha-hein, ich trinke jeden
Tag von diesem Wein und möchte jeden Tag davon betrunken sa-ha-hein.«
Zum Glück war die letzte Strophe gesungen, als Erik in
Westerland ankam. Und damit sie sich endlich an den traurigen Anlass ihres
Aufenthaltes auf Sylt erinnerte, begann er nun von Francesco zu reden. Von
dessen Vater, der ein Mafiaboss gewesen war, und von Francescos Wunsch, so zu
sein wie Antonio Capra. »Er wusste von seinem Vater, wie die Mafia vorgeht, und
hat versucht, ihn zu imitieren. Die Sylter, die er erpresst hat, sind
anscheinend nicht auf die Idee gekommen, dass er gar kein echter Mafioso sein
könnte.«
»Der arme Francesco!«, seufzte Giovanna. »Andere Söhne wollen auch
so werden wie ihre Väter. Das ist doch ganz normal.«
Erik sah sie verdutzt an. »Aber doch nicht, wenn der Vater ein
Mafia-Boss ist.«
»Francesco hat das sicherlich nicht so gemeint.«
Eriks Stimme wurde lauter. »Ein Sylter Gastwirt, der nicht zahlen
wollte oder konnte, ist am Strand zusammengeschlagen worden und an seinen
schweren Verletzungen gestorben. Und die Frau eines Mannes, der sich nicht von
Francesco erpressen lassen wollte, wurde kaltblütig ermordet.«
»Niemals würde Francesco so etwas tun!«, rief Giovanna.
»Er wird es wohl nicht selber getan haben, aber er hat es veranlasst
oder zumindest gebilligt.«
»Das kann nicht sein! Er hat am Telefon gesagt, er hätte eine gute
Stelle gefunden. Er verdiente viel Geld und wollte seinen GroÃeltern alles
zurückzahlen, was er ihnen genommen hatte. Und er wollte heiraten!
Familienvater werden!«
Erik wurde nervös. Er antwortete erst, als er den Wagen geparkt
hatte und sich nicht mehr auf den Verkehr konzentrieren musste. »Francesco hat
in seinem Leben so viel gelogen, warum sollte er diesmal die Wahrheit gesagt
haben? Das Einzige, was stimmt, ist, dass er heiraten wollte. Nur ⦠die
Frau, die er liebte, hat jeden seiner Anträge abgelehnt.«
»Woher weiÃt du das?«
Erik verzichtete auf eine Antwort. Er war froh, als er Giovanna in
Dr. Hillmots starke Arme schieben und selbst zurückbleiben konnte, weil sein
Handy klingelte. Wie verwirrt er war, merkte er, als er das Handy in der
Hosentasche suchte, obwohl er es immer in die Innentasche seiner Jacke steckte.
Dass Giovanna weiterhin daran glauben wollte, der verlorene Sohn ihrer
Schwester sei reuevoll in ein bürgerliches Leben zurückgekehrt, verblüffte ihn
nicht weniger, als würde Giovanna in wenigen Minuten die Pathologie verlassen
und behaupten, den toten Mann von der Buhne 16 hätte sie noch nie gesehen.
Carlotta stand am Fenster und sah hinaus. Warten war nicht
ihre Sache, aber da sämtliche Vorbereitungen getroffen waren, fiel ihr nichts
ein, womit sie sich beschäftigen konnte. Der Frühstückstisch war abgeräumt, die
Küche in einem sauberen Zustand, Giovannas Bett hatte sie bezogen und im
Badezimmer einen Teil des Spiegelschranks
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