Tod im Ebbelwei-Express (German Edition)
herum, den Begriff Zornegiggel – zorniger Hahn – prägte. Damit ist ein impulsiver Mensch gemeint, der in Situationen, in denen er sich ungerecht behandelt fühlt, allzu leicht der Rage anheimfällt. Dabei ist es völlig wurscht, ob der auslösende Faktor ein objektiv betrachtet eher zu vernachlässigender ist oder nicht. Gemein ist diesen Menschen, soviel steht fest, ihre ausgeprägt grobschlächtige Natur, doch wie alle anderen ist auch diese Faustregel nicht ohne Ausnahme, siehe Maria. Besonders häufig ist dieser Menschenschlag in Frankfurt-Sachsenhausen anzutreffen, dort, wo einst Kaiser Karl der Große die Sachsen ansiedelte, daher der Name des Stadtteils. In anderen deutschsprachigen Gebieten nennt man sie häufig Heißsporne. Im Gegensatz zu Bertha und René gewann bei Maria dieser Teil ihres Wesens erst um circa einen Tag verspätet die Oberhand, da verständlicherweise vorerst das Glück überwog, ihren heiß geliebten Simon aus den Klauen des Todes befreit zu wissen.
Bertha und René waren da rationeller. Behutsam sagte der Ex-Hells-Angel: „So, Simon, jetzt zeigst du dem guten René mal das Haus, wo du das Schwein niedergeschlagen hast.“
Obwohl Herr Schweitzer niemanden niedergeschlagen, sondern einzig durch Hebelwirkung und Einsatz von Gewicht außer Kraft gesetzt hatte, war er momentan für derlei Subtilitäten unempfänglich. Voll des Glücks, Marias Nähe zu spüren, führte er die anderen zu dem Haus, beziehungsweise zeigte es ihnen mit einem Sicherheitsabstand von bestimmt fünfzig Metern.
„Gut“, sagte René. „Ich schlage vor, ihr fahrt zurück und geht schlafen, es war ein harter Tag. Ich guck mich noch ein bißchen um. Simon, gib mir bitte die Schlüssel für das Haus.“
Möglicherweise hatte Bertha bereits in dieser Minute kapiert, um was es René im Groben ging, denn sie grinste. Angesprochen wurde das Thema jedenfalls nicht.
Eine Stunde später, die Sonne ging auf, lag Herr Schweitzer in Marias heimeligem Doppelbett und schlief. Denn was immer man über diesen Mann auch sagen mochte, schlafen konnte er wie kein zweiter.
Nachdem die Rücklichter von Ferdis Benz um die Ecke verschwunden waren, hatte René zwei seiner Jungs und drei Feuerwaffen herbeitelefoniert, in einer Hauruckaktion den Keller besagten Hauses gestürmt und den Spieß umgedreht, indem er Herrn Schweitzers immer noch ohnmächtigen Geiselnehmer kurzerhand zur Geisel umfunktionierte.
Nun waren sie in der Gartenlaube von Karl von der Kladde in der Nähe des Goetheturms, an dem Weg, der zum Oberräder Scheerwald führte. Draußen war zeitgleich mit dem Sonnenaufgang ein Sturm aufgezogen und es donnerte als wäre Perkunas eine Laus über die Leber gelaufen. Man wartete gespannt auf Tatjana, da der vermeintliche Russe Deutsch entweder nicht verstand oder nicht verstehen wollte. Der Schurke war an einen Stuhl gefesselt, die Augen verbunden und der Mund geknebelt. Mit einem Eimer kalten Wassers hatten sie ihn vor knapp einer halben Stunde recht unsanft geweckt, nachdem er die Fahrt als zusammengeschnürtes Bündel im Kofferraum verbracht hatte. Nicht mal diese Aktion und die anschließende Fahrt über unterschiedliche Straßenbeläge hatte ihn zum Leben erwecken können. An der Stirn, momentan unter der Augenbinde verborgen, schwoll eine überdimensionierte Beule, made by Simon Schweitzer, Germany, in den Modefarben blaurot und lila.
Im Halbkreis um den Schurken saßen René, Earthquake-Werner und Albert. Letztere gehörten zum harten Kern der Höllenengel.
Earthquake-Werner war in Offenbach geboren, was im Rhein-Main-Gebiet als nicht wiedergutzumachender Makel galt, doch hatten viele Frankfurter einst als Offenbacher angefangen und sich dann über die Jahre hinweg hochgearbeitet. Er maß lächerliche Einssechzig und trug auch des nächtens eine Sonnenbrille mit Spiegelglas. Zu weiß-roten Cowboystiefeln, die ihn in die sagenumwobene Einsvierundsechzig-Sphäre katapultierten, gewandete er sich ausschließlich in Jeansstoffe. An seiner rechten Seite baumelte ein per Karabinerhaken festgehakter Schlüsselbund mit Fuchsschwanz, wie ihn ältere Semester noch von den unsäglichen Mantafahrern der frühen Achtziger her kennen. Seinen Namen verdankte Earthquake-Werner seiner enormen Schlagkraft, mit der er schon so manchen Widersacher, der ihn ob seiner geringen Körpergröße fatal unterschätzte, zu Boden gestreckt hatte.
Albert war beinahe das genaue Gegenteil von ihm. Mit Einsachtundachtzig besaß er Gardemaß.
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