Tod im Jungfernturm
Gesichtsausdruck.
Birgitta hörte, daß das Wasser kochte, und ging in die Küche, um den Herd auszuschalten. Sie hatte beschlossen, Maria Wern alles zu erzählen. Sie wirkte kompetent und würde schnell begreifen, wie ernst die Sache war. Birgitta wußte, wen Wilhelm im Strandhäuschen getroffen hatte und was auf dem Spiel stand. Mona wußte es auch, denn sie hatte genau neben Wilhelm gestanden, als er es erwähnte. Mona hatte sich entschieden, der Polizei gegenüber zu schweigen, und man konnte sich leicht ausrechnen, warum.
Birgitta setzte sich auf das Küchensofa. Vielleicht hätte sie Maria schon alles erzählen sollen, als sie sich im »Gutekällaren« getroffen hatten. Aber da wußte Arne noch nichts von dem Silber, und sie hätte es immer noch allein schaffen können. Jetzt gab es kein Zurück.
Es klingelte an der Tür, und Birgitta stand auf. Noch war Zeit, es sich anders zu überlegen. Noch eine Minute. Nein, sie hatte sich entschieden. Birgitta öffnete die Tür mit der ganzen Entschiedenheit ihres Entschlusses und stand maskierten Gesichtern gegenüber: ein Mönch, eine Bäckersfrau, ein Bürger mit seiner Gattin, ein russischer Kaufmann, ein Aussätziger, eine Pestratte und ein Straßenmädchen. Der Narr machte einen Schritt in die Wohnung.
»Seid gegrüßt, schönes Fräulein, und laßt mich das Glas auf Euer Wohl erheben. Ich bete Eure Brüste an, die Schneehühnern gleichen. Laßt sie hoch hinauffliegen und niemals von hungrigen Kinderschlünden zur Erde gezerrt werden!«
Er beugte sich vor, zog Birgitta den rechten Schuh aus und füllte ihn mit einem Getränk aus seinem Trinkhorn. Dann nahm er einen Schluck und schickte den Schuh weiter zum Mönch, der eine Grimasse zog und ebenfalls daraus trank.
»Wir haben uns heute hier versammelt, um Euch davon abzuhalten, in den Ehestand einzutreten. Was ist schon Verliebtheit anderes als die psychotische Fixierung auf ein unwürdiges Objekt, ein Zustand der Verwirrung ohne Sinn und Verstand? Gewinnt Eure Vernunft zurück und folgt uns in die gesegnete Vergessenheit von Mutter Natur, hinaus auf die berauschenden Blumenwiesen der Freiheit. Hinaus in die Wirklichkeit, zur Buße und zur Besserung.«
»Wenn wir dich heute mit dem wandernden Gespenst des Valdemar Atterdag verheiraten, dann kannst du am Samstag ja nicht Bigamie begehen, nicht wahr?« sagte die rosenwangige Bäckersfrau und zeigte mit dem Nudelholz auf das Schlafzimmer. »Herren haben keinen Zutritt … Nein, nicht einmal Narren. Christoffer, hör auf!«
»Wir verbinden dir deine Augen, damit sie dir nicht vor Hochmut zerspringen, wenn du dich im Spiegel siehst. Du wirst in deiner Ausstaffierung von so blendender Schönheit sein, daß die Sonne neben dir verblaßt. Doch zunächst: Prost, Birgitta, wir trinken auf die Freiheit!«
Die Bürgersfrau führte Birgitta ins Schlafzimmer und knallte dem Mönch und dem Narren die Tür vor der Nase zu. Birgitta nahm einen Schluck aus dem Glas, das ihr gereicht wurde. Der kleine Klare von Christoffer, verdünnt mit Zitronenlimonade, vermutete sie.
»Was habt ihr vor?« Sie versuchte einen schwachen Protest, doch sie wurde resolut entkleidet und wieder angezogen. Die Unterhose reichte bis zum Knie, wurde in der Mitte geschnürt und hatte eine Öffnung im Schritt, war also nicht gerade eng anliegend. Sie merkte, daß ihr etwas auf den Kopf gesetzt wurde.
»Ist das eine Brautkrone mit Mohrrüben? Ich will es wissen.«
»Nein, meine Schöne. Es sind Hot Dogs mit Kondomen. Mit schönen Grüßen vom Gesundheitsamt. Jetzt trink dein Glas leer, und sei ein braves Mädchen.«
Nach einem Glas sah die Welt gar nicht mehr so gefährlich aus, nach zweien wirkte sie fast angenehm.
»Du mußt das Kleid etwas heben, wenn du die Treppe runtergehst, es ist ein wenig zu lang für dich. Du hast doch wohl deine Tabletten gegen Seekrankheit genommen, jetzt wo du mit Valdemar nach Dänemark fahren willst?«
»Ihr dürft mich nirgendwo einsperren, enge Räume ertrage ich nicht. Fragt Olov, der weiß das. Ich kriege Panik und schreie. Lieber sitze ich auf einer Luftmatratze im Meer und verteile Handküsse. Was habt ihr vor?«
Birgitta war sich nicht einmal sicher, daß die anderen noch da waren. Doch als sie versuchte, die Augenbinde zu lockern, zischte Olov ihr ins Ohr: »Unschuldig bist du, solange du nicht gesehen hast.« Er nahm ihren Arm.
»Wohin gehen wir? Ich habe Angst, daß ich mich irgendwo stoße.«
»Nimm einen Schluck vom Trunk der Vergessenheit.« Er hob
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