Tod im Jungfernturm
bedeckt halten, wurde aber von der Lehrerin ohne Pardon unter die Dusche geschoben und kam dann als letzte heraus. Es ist ja wohl nicht nett, nach Schweiß zu riechen, oder? Die Tür zwischen den Umkleideräumen war aus irgendeinem Grund nicht verschlossen gewesen. Sie hörte das Kreischen und das Lachen, und ihr wurde klar, daß sich die Jungs auf verbotenes Terrain begeben hatten. Das Handtuch, das sie sich um den Körper gewunden hatte, kam ihr viel zu klein vor. Sie hatte den Schimmelgeruch des Duschraumes noch in der Nase, als sie, halb hinter der Tür versteckt, herausschaute. Eine Unterhose ging von Hand zu Hand. Pfui, wie eklig! Mit Beweisstreifen! Sie betete im stillen, daß die Hose jemand anderem gehören möge. Sie wurde zur allgemeinen Betrachtung hochgehalten und dann hoch in die Luft geworfen. Irgend jemand kriegte sie auf den Kopf und dann, bei dem Versuch, sich zu ducken, auf die Schulter. Monas Kackhosen!
Die Wände hatten sich vor ihren Augen gebogen. Sie konnte die Gesichter voller Ekel und Schadenfreude sehen und schaute zu Boden. Und dort war ihr Blick dann festgewachsen, niedergeschlagen. Pfui, wie die stinkt. Angst und Scham. Der Lärm ihrer Stimmen echote in ihrem Kopf. Hast du dich eingepißt? Kack-Mona! Du stinkst so, daß wir dich nicht im Klassenzimmer haben wollen. Ins Scheißhaus mit dir, du Ekel!
Es gibt Schmutz, den man nicht wegwaschen kann, Unsauberkeit, die sich wie Maden in einen hineinfraß. Sie hatte ihre Unterhose gewaschen, bis Löcher im Stoff waren, aber was half das schon, wenn alle es gesehen hatten? Was nutzte es, wenn Mama tot war und Vater es nicht für notwendig hielt zu waschen? Sie hatte sich geschrubbt, bis sie rot war, bis es blutete, aber der Schmutz würde klebenbleiben und eins mit der Haut werden.
Im Dunkel des Schuppens standen zwei Fahrräder, das uralte von Anselm und ihr eigenes, von der Firma Monark. Das hatte Wilhelm ihr auf dem Flohmarkt in Klinte gekauft. Im Grunde war es gar nicht so schlecht, daß der Schürhaken im Werkzeugkasten unter dem Sattel von Anselms Fahrrad lag. Er würde es nie wieder benutzen, und die Jungen auch nicht. Mona tastete sich zu ihrem Fahrrad und stieß auf einen Lenker, trat den Ständer los und hob das Hinterrad hoch.
Als sie das Fahrrad aus dem Schuppen gezogen hatte, sah sie, daß das Küchenfenster des Nachbarn erleuchtet war. Ob Henrik Anselm hatte schreien hören? Mona verdrängte den Gedanken und hängte Plastiktüten mit Lappen, Seife und einer Thermoskanne mit heißem Wasser an das Lenkrad des Fahrrads. In den Tüten würde sie dann die Fische nach Hause zurücktragen können, wenn es denn welche gab. Wer weiß, bei wem Wilhelm überall angegeben hatte, wenn der Fang gut gewesen war. Falls die Polizei auftauchte und anfing Fragen zu stellen, mußte alles so sein, wie es sein sollte, auch wenn die Vorstellung, in den frühen Morgenstunden Fisch zu putzen, nicht gerade verlockend war. Die Müdigkeit ließ ihre Beine schwer werden, auch wenn sie bergab fuhr. Den Himmel kreuzten schwarze Wolken, die das Mondlicht verschwinden und es in blinkenden, sekundenschnellen Wechseln wie geheime Lichtsignale wieder auftauchen ließen. Der Himmel weiß, was du getan hast! Du hast Blut an den Händen. Schuldig! Schuldig! Schuldig!
Im Strandhäuschen wagte Mona nicht, die Petroleumlampe anzuzünden, sondern tastete sich über den Boden. Sie rollte den Flickenteppich, auf dem Wilhelms Leiche gelegen hatte, zusammen und trug ihn an den Strand. Ein warmer Wind vom Land her umwehte ihren Rücken. Leise Wellen streichelten den Steg mit einem glucksenden Laut. Sie horchte auf menschliche Schritte, Autogeräusche, Stimmen. Doch die Nacht glitt leise wie ein Flügelschlag über den Fischereianleger. Am Ufer machte sie aus dem Teppich ein Bündel, füllte es mit Steinen und ließ alles zusammen vom Steg ins Wasser fallen. Etwas, was sie später bitter bereuen würde. Doch hinterher war man immer schlauer. Wenn die Angst die Sinne beherrscht, ist es schwer, klar zu denken.
Dann scheuerte sie wieder und wieder im Dunkeln den Boden des Strandhäuschens. Sie wusch und rieb alles weg, was von Wilhelm noch da sein konnte. Ganz genauso, wie sie es immer nach seinen Stiernächten im Dunkel des Schlafzimmers gemacht hatte, um danach Bettzeug, Unterrock und Unterhose zu wechseln. Erst jetzt wurde ihr klar, welche Erleichterung es bedeutete, daß es ihn nicht mehr gab. Sie schämte sich für diesen Gedanken, und trotzdem war da eine stille
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