Tod im Jungfernturm
er hat nicht geantwortet. Es klang, als wolle er sofort kommen. Ich habe ihm unsere Besuchszeiten gesagt und daß Mona viel Ruhe braucht.«
»Sie haben keinen Eindruck davon bekommen, in welcher Beziehung sie zueinander standen?«
»Nein, er war ziemlich kurz angebunden und hat gotländisch geredet. Das ist alles, was ich sagen kann.«
Hartman saß in eine Damenzeitschrift versunken da, die er schnell in den Korb gleiten ließ, als Maria die Tür öffnete. Der Raum war groß und hell. Das Fenster und eine Balkontür zeigten zum Meer. Draußen gab es eine Rampe, so daß die Patienten direkt von außen in ihre Zimmer gefahren werden konnten, ohne mit ihrer Infektion noch durch die ganze Abteilung zu müssen. Das Zimmer lag im Erdgeschoß, und Maria hielt die helle Gardine etwas zurück, während sie über den Parkplatz schaute. In ein paar Stunden würde die Rückseite des Hauses dunkel sein.
»Schläft sie?« flüsterte Maria.
»Ja.« Hartman erhob sich mit steifen Gliedern und bürstete sich ein paar Krümel von der Hose. Offenbar hatte er während seiner Schicht wenigstens nicht hungern müssen.
»Hast du mit ihr reden können?«
»Sie antwortet auf die Fragen der Schwestern, aber nicht auf meine«, sagte er. Maria erzählte ihm von dem Anrufer, der nach Mona gefragt hatte.
»Was machen wir jetzt?« fragte sie.
»Ich bleibe hier.« Hartman nahm einen Schluck von dem heißen Kaffee und zog eine Grimasse. »Wenn es ein naher Verwandter war, dann hätte er sich doch in irgendeiner Form vorgestellt. Zum Beispiel: Meine Mutter liegt bei Ihnen oder so, glaubst du nicht?«
»Doch. Warum liegt sie in diesem Zimmer? Das ist strategisch nicht sonderlich günstig.«
»Da bin ich deiner Meinung. Ek meinte, es sei der einzige freie Platz gewesen.«
»Wenn es möglich ist, dann werden wir sie verlegen.«
»Das haben wir voriges Jahr am ersten April auch gemacht«, sagte die Nachtschwester und besah ihr Werk. »Wir haben eine Patientin mit Haaren aus Schaffell und einem mit Watte gefüllten Nylonstrumpf als Gesicht gebastelt. Sie hatte sogar einen Tropf, der Schlauch ging unter die Bettdecke in eine Kathetertüte. Die Beine haben wir aus Decken gerollt. Sieht gar nicht so schlecht aus, oder? Ich hatte die Medikamentenliste selbst geschrieben: ›Eidechsenzähne, 4x tgl. drei Kapseln, abends Natternfüße, 2 Stck.‹ Die Kollegin von der Frühschicht hat gedacht, das wären homöopathische Mittel. Die Aprilpatientin bekam auch noch Nahrungsergänzungsmittel mit einer speziellen Pipette, für die man eine Gebrauchsanweisung benötigte. Dazu eine eigens zusammengestellte Kombination von drei Antibiotika, von der noch niemand je etwas gehört hatte. Ein guter Start für die Frühschicht des ersten April. Sie sind uns tatsächlich auf den Leim gegangen. Die Frau lebte fast einen ganzen Tag und wurde von Schicht zu Schicht weiter übergeben. Dann dimmen wir jetzt mal das Licht runter, so daß es wie ein richtiger Mensch aussieht, oder?«
Hartman öffnete das Fenster ein wenig und setzte sich, um in der Dunkelheit zu warten. Er hoffte inständig, daß Trygvesson von der ganzen Sache nichts erfuhr. Wenn während der Nacht nichts passierte, dann würde sich im Tageslicht doch der Schimmer des Lächerlichen über das Manöver legen, davon war er fest überzeugt.
»Heute abend läuft ein guter Film im Vierten«, sagte Maria und sah verstohlen zu Mona hinüber, die im Bett saß und ihren Abendtee trank. »Das Geisterhaus. Haben Sie den schon gesehen?«
»Nein.« Maria sah zum ersten Mal einen winzigen Funken Begeisterung im Gesicht der Frau.
»Ich glaube, der würde Ihnen gefallen. Es geht darum, wie böse und gute Taten Kreise auf dem Wasser ziehen, wie Wellen, die immer wiederkommen. Zum Teil ist er richtig romantisch. Die weibliche Hauptrolle spielt Meryl Streep.«
»Ist das ein ausländischer Film? Dann geht es nicht. Der läuft ja mit Untertiteln, und ohne meine Brille sehe ich nichts. Ich will jetzt schlafen.«
Maria half Mona, die im Nachthemd zur Toilette humpelte, mit dem Infusionsständer und dem Handtuch. Ein klein wenig konnte sie sich ja nützlich machen, wenn sie schon im Zimmer war. Monas Haltung war abweisend. Abgesehen vom Allernötigsten kam kein Wort über ihre Lippen.
»Es hat jemand angerufen und nach Ihnen gefragt. Wissen Sie, wer das sein könnte? Es war jemand, der seinen Namen nicht sagen wollte.«
Mona ließ die Zahnbürste auf den Boden fallen und beugte sich langsam herab, um sie aufzuheben.
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