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Tod im Jungfernturm

Tod im Jungfernturm

Titel: Tod im Jungfernturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Jansson
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Augenstern, eine Gottesgabe, die geboren wurde, um ihm dann achtzehn Jahre später wieder weggenommen zu werden. Er vermochte nicht daran zu denken, merkte, wie sein Blick trübe wurde, und schaute hoch über den Marktplatz. Die Kiefer taten weh, so fest biß er sie im Schmerz zusammen. Aber er gewann die Kontrolle zurück.
    Die Marktstände vor ihm lockten einen steten Strom von Touristen an. Als Trygvesson ein kleiner Junge war, hatten kleine apfelgesichtige alte Frauen Pflaumen und Kartoffeln, Honig und Lammfellschuhe verkauft. Jetzt sah es hier aus wie auf jedem anderen europäischen Marktplatz. Die Lebensmittel waren Batikkleidern, billigem Silberschmuck und Lederwaren gewichen.
    Zuerst bemerkte er ihr langes, helles Haar und dann das Lächeln. Sie ähnelte jemandem, dem er vor langer Zeit begegnet war, aber das konnte ja gar nicht sein. Dies war ein junges Mädchen von höchstens zwanzig Jahren. Aber es war ihm schon früher passiert, daß er sich verschätzte, wenn es darum ging, das Alter einer Frau zu erraten, dachte er mit einem Anflug von Verbitterung. Er nahm einen schweren Armreifen aus Silber von ihrem Stand und betrachtete ihn gedankenverloren. Das Gedränge war heftig, und ein verschwitzter älterer Mann kam ihm allzu nah. Er trat ein wenig zurück, bekam einen Ellenbogen in die Seite und erntete einen verärgerten Blick.
    Knapp einen Monat nach Erikas Beerdigung hatte Lillemor gesagt, daß sie einen Job in der Bibliothek von Visby bekommen habe. Er wußte nicht einmal, daß sie sich darum beworben hatte. Die Zeit direkt nach der Beerdigung war wie ein Vakuum gewesen. Er konnte sich nicht erinnern, daß sie überhaupt miteinander gesprochen hätten, nicht über Gefühle und auch nicht über das Alltägliche. Lillemor weigerte sich, weiter in dem Haus zu leben, das stille Mitleid der Nachbarn drohte sie zu ersticken. Sie wollte ein neues Leben anfangen, mit ihm oder ohne ihn, und versuchen, dem Rest ihres Lebens einen Sinn zu geben. Ihm blieb nur die Wahl zwischen dem Alleinsein und dem Umzug zurück nach Gotland. Er hatte nicht damit gerechnet, daß das so schnell geschehen würde. Noch ehe sie die Wohnung dem Makler übergeben hatten, hatte sie schon ein kleines Haus in der Innenstadt von Visby gemietet. Vielleicht hatte sie schon vorgehabt, ihn zu verlassen, bevor das Schreckliche geschah. Seine Ehe stand vor der Auflösung, so sah es aus, auch wenn er sich in diesem Punkt immer mal wieder etwas vormachte. Es war die reine Not, die ihn nochmals ein Stück des Weges mit ihr zusammen gehen ließ, aber es geschah nicht mehr mit derselben Selbstverständlichkeit wie damals, als Erika noch lebte.
    Die Atmosphäre bei der Polizei in Visby war gut. Die Arbeit füllte einen Leerraum in ihm aus. Hier gab es ein Engagement und eine Kompetenz, die ihm Bewunderung abverlangten, alle schienen sich für die gemeinsame Arbeit einzusetzen und daran teilzuhaben. Es herrschte eine Kameradschaft, die sein Herz wärmte. Natürlich würde das Leben nie wieder so werden wie mit Erika, aber er hatte eine Arbeit. Bisher jedenfalls. Der Fall mit Wilhelm Jacobsson würde ihn vielleicht überfordern.
    Ohne Lillemor ein Wort zu sagen, war er im Saal für Frühgeschichte gewesen und hatte Arne Folhammars Vortrag über Valdemar Atterdag angehört. Jetzt, da sie anfing, eigene Wege zu gehen, war es vielleicht der reine Selbsterhaltungstrieb, der ihn dazu brachte, sein eigenes Leben zu suchen. Doch graute ihm davor, was das am Ende bedeuten könnte. Vielleicht kaufte er deshalb dem süßen Mädchen den silbernen Armreif ab. Es war lange her, seit er Lillemor mit einem Geschenk überrascht hatte. Der Armreif war nicht teuer, aber ungewöhnlich und schön. »Eigene Arbeit«, hatte die bezaubernde junge Dame lächelnd gesagt. »Birgitta Gullberg« stand auf ihrer Karte.
    Er tat sie in seine Jackentasche und ging die Nunnegränd hinunter, an den Ruinen von St. Lars und Drotten vorbei, dann an der katholischen Kirche entlang, um die Ruhe im Lusthaus auf dem Tempelhügel des Botanischen Gartens zu suchen. Dort verbarg ihn das freundliche Grün und umschloß ihn mit dem Mantel der Vergebung. Dort duftete es nach Rosengarten.
    Er sollte die Ermittlungen abgeben. Aber zu welchem Preis? Schon der Gedanke machte ihn ganz krank vor Ekel. Wie er da in seinem achteckigen Luftschloß saß, wurde ihm plötzlich klar, daß er seit dem Tod seines Vaters mit niemandem mehr über die wesentlichen Dinge des Lebens gesprochen hatte. So viele Jahre der

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