Tod im Jungfernturm
Dienstausweis zeigen und es als Arbeitszeit betrachten«, schlug sie vor.
»Das wäre sicher legitim.«
Maria sah Olov nach, der sich an einen Tisch ganz hinten im Garten setzte. Er sprach mit jemandem, der mit dem Rücken zum Eingang saß, einem Mann mit glattem, dunklem Haar, der ungefähr einen Kopf kleiner war als Olov. Der Mann drehte sich um und stand eilig auf. Maria packte Arvidsson am Arm, und er folgte ihrem Blick. Es war Arne Folhammar, mit dem Olov hier verabredet war. Das Gespräch wurde von der Musik übertönt, aber Maria bemerkte dennoch die deutliche Körpersprache. Eine Ohrfeige hing sozusagen in der Luft. Sie sahen, wie Arne ein paar Scheine auf den Tisch legte, ehe er seinem hochgewachsenen Halbbruder zum Ausgang folgte. Arvidsson legte den Arm um Maria, um sie zur Tür zu führen. Am Ausgang herrschte heftiges Gedränge, und als sie wieder auf der Strandgatan standen, waren Olov und Arne nicht mehr zu sehen.
Die Gerüche von Salzwasser und Rosen zogen durch die Gassen, so verlockend wie die milde Kühle der Nacht. Arvidsson hatte den Arm auf Marias Schulter gelassen. Einen Augenblick hatte sie sich entspannt und war näher gekommen, ehe sie wieder aus seinem Griff glitt, um in das Schaufenster eines Ladens für Jagd- und Angelzubehör zu sehen. Eindeutig ein Ablenkungsmanöver, dachte Arvidsson. Maria war noch nie sonderlich an Jagd oder Angeln interessiert gewesen. Er wünschte, er würde sich trauen, ihre Hand zu nehmen. Wenn sie in diesem Moment seine Hand nahm, dann würde er nichts weiter im Leben begehren. Nun ja, vielleicht doch, natürlich würde er sich nach einer Fortsetzung sehnen. Maria fuhr mit den Händen in die Jackentaschen, als könnte sie seinen inneren Dialog hören. Es dauerte eine Weile, bis einer von ihnen sprach.
»Weißt du, wie es mit den Durchsuchungen in Monas Haus vorwärts geht? Sind die abgeschlossen?« fragte sie.
»Trygvesson hat erzählt, daß sie in einem Schrank in einem der Jungenzimmer eine Inschrift gefunden haben. ›Ich hab die Nase voll von dieser Familie!‹ stand da.« Arvidsson lächelte breit. »Vielleicht ein Ausdruck dafür, daß es an der Zeit ist, das Nest zu verlassen.«
»Wer das wohl geschrieben hat?«
»Das ist doch ein typisches Gefühl für einen Teenager.«
Arvidsson war drauf und dran zu erzählen, daß er selbst noch nicht von zu Hause ausgezogen war, biß sich aber auf die Zunge. Wenn er nicht die Möglichkeit bekam, das im ganzen zu erklären, dann würde es ihm kaum zum Vorteil gereichen.
»Wir haben ein Gutachten von der Gerichtsmedizin über Wilhelm Jacobsson. Er hatte einen weit fortgeschrittenen Lungenkrebs. Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit wußte er es selbst oder hat es zumindest geahnt.«
»Ob er wohl einen Arzt aufgesucht hat? Ich habe noch an die Schlange mit dem zertretenen Kopf gedacht. Hat jemand bei Krankenhäusern und Ärzten gefragt, ob man jemanden mit Schlangenbiß behandelt hat?« fragte Maria.
»Trygvesson hat den Auszubildenden darauf angesetzt. Der hat erst mal den halben Tag lang den Gesetzestext gelesen. Es mag schwer sein, den Namen herauszukriegen, aber man sollte in Erfahrung bringen können, ob jemand gebissen wurde. Und dann muß man beim Staatsanwalt anfragen. Das Krankenhauspersonal hat strenge Schweigepflicht.«
»Wenn es um Mord geht, sollte man doch wohl einen Namen herausbekommen können?«
»Sollte man meinen.«
Sie gingen schweigend nebeneinander her zum Almedalen. Es war eine freundliche, bedingungslose Stille, die Raum für eigene Gedanken gab. Es war fast windstill. Als sie an der Mauer entlang spazierten, hatte Maria plötzlich das Gefühl, daß sie sich, wenn man nur die Straßenlaternen gegen Pechfackeln austauschte, ebensogut in einer anderen Zeit befinden könnten. Es war dasselbe Gefühl, wie wenn man übers Meer oder in ein Feuer schaute. Die Zeit hörte auf und wurde zur Gegenwart. Keine Vergangenheit, keine Zukunft, nur ein Ruhen im Jetzt, in der Phantasie.
»Ob Wilhelm wohl Mona gesagt hat, daß er krank war? Mit ihrer Erlaubnis müßten wir eigentlich Einblick in seine Patientenakte bekommen können.«
»Keine Ahnung. Trygvesson soll sich darum kümmern.«
»Was hat es denn für einen Sinn, einen todkranken Mann umzubringen?« fragte Maria, als sie sich auf einer Bank am Almedalen niederließen. Das schwarze Wasser glitzerte im Schein der Laternen. Ganz weit draußen auf dem Meer konnte man ein Boot mit weißen Segeln erkennen.
»Vielleicht Mord aus Barmherzigkeit?
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