Tod im Netz: Kriminalroman (Oldenburg-Krimi) (German Edition)
Dorfkrug, jeden möglichen Weg dreimal abgelaufen. Nichts. Paul, du bist Polizist, tu was, bitte!«
» In Friesland bin ich gar nicht zuständig…« In dem Moment, als er es ausgesprochen hatte, wusste er selbst, wie unsensibel und töricht er gewesen war. Er schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn.
» Paul«, schrie sie ihn mit fester Stimme an, »unser Sohn ist spurlos verschwunden, und du kommst mir hier mit Zuständigkeiten?«
» Entschuldige bitte. Ich bin in 15 Minuten da.«
Paul teilte Lisbeth mit, dass Tom verschwunden war und er deswegen sofort nach Hause müss te. Er brauchte nicht um ihr Verständnis bitten.
***
Paul wusste nicht, was schneller raste: der Audi auf der Autobahn, sein Herz oder seine Gedanken. Intuitiv suchte sein Gehirn alle Eventualitäten ab. Er hatte gelernt, kriminalistisch zu denken. Die erste Regel für jeden Kripobeamten: Lass deine Gefühle aus dem Spiel, was in diesem Fall ein Ding der Unmöglichkeit war.
Tommy Tieken kam ihm in den Sinn. Ein Kinderschänder, der in den 90er Jahren in dieser Region sein Unwesen trieb und recht skräftig zu lebenslanger Haft verurteil worden war. Lebenslänglich bedeutete: mindestens 15 Jahre hinter Gittern. Über die Freisprechanlage drückte Paul die Kurzwahltaste zu Lisbeths Dienstapparat.
» Paul, was kann ich tun?«
» Erinnerst du dich an den Kinderschänder Tommy Tieken? Ich war zu der Zeit noch in Frankfurt, aber der Fall hat damals bundesweit für Schlagzeilen gesorgt.«
» Natürlich, ich war 12 oder 13 Jahre alt, also im Alter der beiden getöteten Mädchen. Er wurde damals durch einen Massengentest überführt und bekam lebenslänglich, das müsste im Jahr 1996 gewesen sein.«
» Kannst du bitte überprüfen, ob er noch einsitzt?«
» Du glaubst doch nicht etwa, dass der wieder frei ist und Tom…der Tieken hatte es auf Mädchen abgesehen…«
» Lissi, mach es einfach, ja? Sag mir, ob der noch im Gefängnis sitzt!«
« Okay, bleib dran.« Paul hörte, wie Lissi hektisch auf der Tastatur klackerte. Das Ergebnis der Anfrage würde nicht lange dauern, das wusste er. Ihm kam es jedoch wie eine halbe Ewigkeit vor.
» Ah, da haben wir es schon. Letztes Jahr gab es einen Haftprüfungstermin. Es wurde festgestellt, dass er frühestens im Jahr 2021 entlassen werden darf. Der Kerl sitzt in Celle ein. Der Beschluss wurde vom Oberlandesgericht Lüneburg bestätigt und ist somit rechtskräftig.«
» Okay, danke, Lissi.«
» Tom taucht schon wieder auf, da bin ich sicher, Paul.«
» Danke, ich melde mich wieder.«
Noch nie hatte Paul die Strecke von der Dienststelle bis nach Hause so schnell zurückgelegt. Er fan d seine Frau völlig verheult und mit einem Papiertaschentuch in der Hand vor. In ihren Augen konnte er ihre Sehnsucht ablesen, als wollte allein der flehende Blick sagen: 'Hol ihn mir zurück, bitte'. Paul nahm sie in den Arm und sagte leise:
» Wir werden ihn finden, das verspreche ich dir.
Ist die Polizei in Varel schon verständigt worden? «
» Ja, zwei Schutzpolizisten in einem Streifenwagen waren bereits hier. Ich habe ihnen ein Foto von Tom mitgegeben. Sie werden Anwohner befragen, ob sie was gesehen haben.«
» Okay, gut, pass auf, ich rede jetzt erst mit Felix, und dann fahre ich zum Kiosk.«
» Ich will mit dorthin.«
» Nein, Wiebke, du musst hierbleiben, falls Tom alleine nach Hause kommt, oder wenn jemand hier anruft.« Paul versuchte, professionell zu bleiben. Besorgten Eltern hätte er gesagt – wenn es um ein anderes Kind gegangen wäre: »Machen Sie sich keine Sorgen, in den meisten Fällen tauchen die Kinder nach ein paar Stunden wieder auf.« Diese Aussage klang nun für ihn wie blanker Hohn. Vielleicht hatte Tom an einem Bach gespielt, an der Leke, war reingefallen und hatte Angst, schmutzig nach Hause zu kommen. Paul fragte sich, ob die Leke tief genug war, dass er darin ertrinken konnte?
» Was hast du, an was denkst du?« Wiebke schien seine düsteren Gedanken erahnen zu können.
» Nichts, ich gehe nur gerade alle Möglichkeiten durch.«
» Das heißt, du glaubst, es ist ihm was zugestoßen, oder? Was ist es? Sag mir die Wahrheit!«
» Die Wahrheit ist, dass ich gar nichts weiß, genau wie du. Ist Felix bei seinen Eltern?«
» Ja.«
» Ich gehe rüber und rede mit ihm. Du bleibst bitte hier.« Wiebke griff sich Toms Lieblingskuscheltier, einen Teddybären, Ole, sie hatten ihn ihm während eines Dänemark-Urlaubs gekauft. In den letzten Wochen schien Tom ihn nicht mehr
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