Tod im Netz: Kriminalroman (Oldenburg-Krimi) (German Edition)
Acker gemacht, einfach ins Ausland abgesetzt. Was würden dann die Journalisten über uns schreiben? Paul, es ist unsere verdammte Pflicht, ihn so zu behandeln, wie wir es getan haben. Nach Lage der Dinge wäre es fahrlässig gewesen, ihn einfach gehen zu lassen. Und innerhalb der nächsten 72 Stunden entscheidet dann ein Haftrichter, ob er freigelassen wird oder nicht.« Paul grinste. Natürlich hatte sie recht. Und der karriereorientierte Oberstaatsanwalt selbst hatte immer wieder betont, sogar darüber schwadroniert, dass jeder, ungeachtet seines Amtes, seiner Funktion oder seiner Stellung in der Gesellschaft gleich behandelt werden müsste. 'Ob Bürgermeister oder Pförtner, vor dem Gesetz sind alle gleich'. Paul war sich nicht sicher, ob er Oberstaatsanwälte und somit sich selbst mit einbezogen sah.
» Was glaubst du denn: War er es oder nicht? Traust du ihm einen Mord zu?«, fragte Lisbeth.
» Ich weiß gar nicht mehr, was ich glauben soll. Darum geht es auch gar nicht. Mir wäre es lieber, er hätte wenigstens für den Mord an Annika Eilers ein Alibi, dann wäre er aus dem Schneider.«
» Und diese Geschichten in seinem vornehmen ‚Club Leonardos‘, die Weibergeschichten, was hältst du davon?«
» Moralisch grenzwertig, ja sogar verwerflich. Aber das macht ihn lange noch nicht zum Täter. Wie ich ihn menschlich einschätze, weißt du ja…«
» Ein riesengroßes Arschloch ist er«, bellte Lisbeth, »bestellt junge Mädels für Partys in gehobenen Kreisen. Wer weiß, ob die jungen Dinger alle freiwillig dort waren, und ob da nicht Drogen konsumiert wurden…«
» In seiner Position äußerst ungeschickt, zugegeben. Wenn das an die Öffentlichkeit dringt, ist er beruflich erledigt. Was ist denn, wenn Annika Eilers gedroht hat, damit an die Presse zu gehen?«
» Du meinst, sie könnte ihn erpresst haben? Und deswegen musste sie sterben?«
» Nur eine Möglichkeit…«, er fuhr sich durch seine lockigen Haare, stellte das halb leere Glas ab und stand auf, »Lissi, lass uns wenigstens ein bisschen schlafen, damit wir morgen einen klaren Kopf haben.« Sie begleitete ihn zur Tür. Er öffnete sie und drehte sich zu ihr um.
» Ich bin froh, dass du an meiner Seite ermittelst. Ich brauche deinen wachen Verstand und deine Intuition.« Lissi war so verlegen, dass sie gar nichts antwortete. Erst als Paul schon aus der Tür war, rief sie ihm zu:
» Danke, und grüß Wiebke von mir.«
***
Dieses war keine billige amerikanische CSI-Folge, sondern die harte Realität. Der Raum für die Vernehmung war weder fensterlos noch steril eingerichtet. Um das Gesagte ordentlich zu dokumentieren, lief ein digitales Gerät, das lückenlos alles aufzeichnete. Zumindest in diesem Punkt deckte sich die Fernsehwirklichkeit mit der Realität.
Als Paul in die übernächtig ten Augen von Kai Rentz sah, konnte er weder Überheblichkeit noch Arroganz erkennen, die ihm sonst zu eigen waren. Vielmehr sah er aus wie ein angeschossener Wolf, der bereit war, sich zu verteidigen. Eines stand bereits vor dem Gespräch fest: Unabhängig davon, ob er die Morde begangen hatte oder nicht, am Ende des Tages würde irgendetwas an ihm hängenbleiben. Seine bisherige Bilderbuchkarriere würde mindestens einen empfindlichen Knick erhalten, wenn nicht sogar ganz beendet sein. Dessen schien sich Kai Rentz bewusst zu sein. Wahrscheinlich hatte er in seiner ersten Nacht in Polizeigewahrsam kein Auge zugetan und darüber gegrübelt, wie er möglichst unbeschadet aus der Situation wieder hinauskäme.
» Herr Rentz, ich weise Sie vorsorglich darauf hin, dass Sie jederzeit einen Rechtsbeistand hinzuziehen können, und dass Sie als Beschuldigter das Recht haben, die Aussage zu verweigern.«
» Ja, ja, ich kenne meine Rechte. Ich habe nichts Ungesetzliches getan, somit brauche ich auch keinen Strafverteidiger. Natürlich werde ich aussagen«, Kai stand auf, als führe er selbst die Vernehmung durch, wahrscheinlich aus alter Gewohnheit, »eines, Herr Kriminalhauptkommissar, möchte ich auch vorsorglich schon jetzt zu Protokoll geben: Während wir hier diese überflüssige Vernehmung durchführen, rennt da draußen ein Mörder herum«, Kai zeigte mit ausgestreckter Hand zur Tür, »der sich - vielleicht sogar heute schon - sein nächstes Opfer sucht.« Paul faltete die Hände und entgegnete tonlos:
» Bitte nehmen Sie wieder Platz und beantworten Sie einfach unsere Fragen, umso eher sind wir hier fertig. Sie wissen genauso gut wie wir, dass wir
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