Tod im Schärengarten
Situation gegrübelt. Es war das Erste, woran sie beim Aufwachen dachte, und das Letzte, bevor sie einschlief.
Sich in Julianders Geschäfte zu vertiefen, würde eine willkommene Abwechslung sein. Alles war ihr recht, wenn es nur half, ihre Eheprobleme zu vergessen.
Und Thomas würde ihren Einsatz bestimmt sehr schätzen. Das war das Mindeste, was sie tun konnte, nachdem sie sich am Wochenende an seiner Schulter ausgeheult hatte. Er war ihr bester Freund, da verstand es sich von selbst, dass sie einen Nachmittag für ihn opferte.
Sie schob ihren Rucksack auf den Schultern zurecht und begann, in Richtung Fleminggatan zu gehen.
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Kapitel 68
Nora öffnete eine der großen Bronzetüren des Klamparen und ging zur Rezeption.
Das Gerichtsgebäude nahm fast den ganzen Straßenblock ein, aber der Zugang war überraschend unscheinbar: ein parallel zur Straße verlaufender überdachter Gang, der zum Portal führte.
Innen erwartete den Besucher eine luftige Halle, die von einer großen spiralförmigen Treppe in warmen Holztönen dominiert wurde.
Nora erklärte ihr Anliegen dem jungen Pförtner, der in einer schmucken Uniformjacke hinter einer Glasscheibe saß. Er hatte halblange Haare und einen spärlichen Oberlippenbart, der ihm etwas Kindliches verlieh. Jedenfalls sah er kaum so aus, als könnte er die Behörde vor jemandem schützen, der sich gewaltsam Zutritt verschaffen wollte.
Der junge Mann hinter dem schusssicheren Glas war vollauf damit beschäftigt, auf seinem Computer eine Patience zu legen. Nora erkannte eine Reihe weißer Spielkarten vor grünem Hintergrund auf dem Bildschirm. Ein angebissenes Wurstbrot lag neben der Tastatur, und daneben stand auch eine Tasse Kaffee.
»Da müssen Sie in Abteilung sechs«, sagte der Pförtner und lächelte sie an. »Das ist eine Treppe höher, in der fünften Etage.«
»Wo bin ich denn jetzt?«, sagte Nora verwundert.
»Das hier ist die vierte Etage«, erwiderte der Mann freundlich. »Mehrere Etagen sind hier unter der Erde. Deshalb befinden Sie sich jetzt in der vierten. Sie können den Aufzug nehmen oder einfach die Treppe hinaufgehen.« Er zeigte auf die geschwungene Treppe. »Ich werde Sie oben anmelden«, fuhr er fort, »dann müssen Sie nicht vor der Tür warten. Die ist nämlich zu.«
Er lächelte wieder und sein kleiner Schnäuzer wippte. Nora verkniff sich ein Lachen. Der Junge meinte es gut, auch wenn er wirklich albern aussah.
Sie bedankte sich, ging die Treppe hinauf und kam an eine Glastürmit der Aufschrift ABTEILUNG 6. Durch das Glas konnte sie sehen, wie jemand näher kam, und kurz darauf wurde die Tür von einer Frau um die sechzig geöffnet.
»Eva-Britt Svensson«, sagte sie und streckte Nora die Hand entgegen. »Ich bin die Gerichtssekretärin.«
Sie trug einen roten Faltenrock und eine weiße Bluse. Das kurze graue Haar war sorgfältig frisiert und lockte sich über den Ohren. Ihre runde Brille erinnerte an eine Eule. Sie sah wirklich aus wie eine typische Gerichtssekretärin, und Nora hätte schwören können, dass im Amtsgericht von Visby genauso ein Exemplar gearbeitet hatte.
Nora stellte sich vor und erklärte, dass sie Einsicht in die Akten verschiedener Insolvenzverfahren brauche. Sie zog die Liste aus dem Rucksack und übergab sie der Sekretärin.
Eva-Britt Svensson überflog die Aufstellung und runzelte die Stirn. Dann sah sie Nora streng an.
»Das wollen Sie wirklich alles durchsehen? An einem Tag? Ich glaube kaum, dass das gehen wird.«
Nora nickte und versuchte, beruhigend zu lächeln.
»Sie werden verstehen, dass ich Ihnen nicht alle Akten auf einmal vorlegen kann«, fuhr Eva-Britt Svensson fort. »Einige sind schon seit einer ganzen Weile geschlossen. Ich muss runter ins Archiv, um sie herauszusuchen. Bis ich die alle gefunden habe … Das kann dauern.« Sie seufzte tief.
Nora tat, als hätte sie den Wink nicht verstanden. Sie zog den Hausausweis ihrer Bank hervor und hielt ihn der Sekretärin unter die Nase.
»Das sind dringende Fälle, die wir uns ansehen müssen. Deshalb bin ich extra hergekommen. Tut mir leid wegen der zusätzlichen Arbeit, die wir Ihnen machen, aber es ist sehr wichtig für uns.«
Sie gab sich alle Mühe, seriös zu klingen. Insgeheim hoffte sie, dass niemand auf die Idee kam, bei der Bank nachzufragen, ob das alles seine Richtigkeit hatte.
Gemäß Öffentlichkeitsprinzip hatte zwar jeder Bürger das Recht, Einblick in die nicht geheimen Akten zu nehmen, die von den Behörden verwahrt wurden,
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