Tod im Sommerhaus
hätte. Jedenfalls machten wir uns auf den Weg. Wir saßen bereits im Auto. Aber dann machte Bobban plötzlich einen Rückzieher. Sagte, es sei gar nichts passiert. Wollte nicht mehr davon reden. Ich glaube, es endete damit, dass wir einfach nur rumfuhren. Zum Schluss ist er dann in irgendeinen verdammten Fluss gerast und hätte uns dabei fast umgebracht.«
»Aber Lindberg hat diesen Onkel trotzdem weiterhin besucht?«
Lagerstedt sah Nielsen an und strich über seinen schütteren Bart.
»Stimmt«, erwiderte er und nickte. »Ich glaube, dass er manchmal hinfuhr. Es ist schon seltsam, manche Dinge sind unerklärlich. Wie gesagt, er verlor nie wieder ein Wort darüber.«
Conny Lagerstedt verstummte und zog nachdenklich an seiner Zigarette.
»Tja, unser Bobban hatte kein Glück mit seiner Verwandtschaft. Eine Mutter, die alle ranließ. Und dann dieser Arsch. Außerdem noch ein paar Großeltern väterlicherseits, die offenbar genauso drauf waren. Bauernpack. Aus irgendeinem Kaff im Wald. Wahrscheinlich hatten sie an jedem Fuß sechs Zehen mit Schwimmhäuten dazwischen. Als er klein war, sperrten sie ihn in den Erdkeller, wenn sie meinten, dass er was ausgefressen hatte. Einen Sommer haben sie ihn einen Monat lang nicht rausgelassen, erzählte er …«
Lagerstedt hielt inne und starrte ins Leere. Dann brach er plötzlich in polterndes Gelächter aus.
»Das könnte natürlich auch gelogen sein! Daran habe ich auch manchmal gedacht. Ich habe nie jemanden getroffen, der so viel gelogen hat wie Bobban. Das war schon fast unheimlich. Wenn wir was anstellten und uns jemand erwischte, schickten wir immer Bobban vor. Er hatte immer eine Story zur Hand. Und in neun von zehn Fällen glaubte man ihm. Er wirkte wahnsinnig überzeugend …«
Er lachte wieder, aber sein Lachen ging nach einer Weile in einen krampfhaften Husten über, der ihn schüttelte. Als der Husten aufhörte, saß er vornübergebeugt da und keuchte.
Die Tür zum Nebenzimmer ging auf, und Nielsen drehte sich um. Die Ähnlichkeit von Lagerstedt und dem Mann, der vor ihm stand, war augenfällig. Er hatte ein breites, bulldoggenhaftes Gesicht mit eckigem Kinn, einen durchdringenden Blick, massive Oberarme und einen kräftigen Brustkorb, wie ihn wohl auch Conny Lagerstedt einst besessen hatte. Er starrte Nielsen an, dann wandte er sich an seinen Sohn.
»Jetzt müsst ihr aufhören, sonst wird es dir zu viel.«
Conny Lagerstedt schüttelte den Kopf.
»Schon in Ordnung. Wir sprechen über Bobban. Bleib doch einen Moment hier. Schließlich erinnerst du dich doch auch noch an einiges, oder?«
Der Ältere schüttelte ablehnend den Kopf. Dann nahm er eine Heizdecke vom Sofa, legte sie seinem Sohn über die Knie und schob den Stecker in die Steckdose. Er blieb noch eine Weile vor ihm stehen und sah ihn an. Dann drehte er sich um und verließ den Raum.
Conny Lagerstedt nickte hinter ihm her.
»Mein Alter. Aber das war Ihnen vermutlich klar. Er hat angebaut, als ich krank wurde, und mich dann zu sich geholt. Er wollte mich nicht in irgendeinem Heim verrotten lassen.«
Er betrachtete Nielsen.
»Der Alte wirkt doch ganz okay. Ich habe keinen Grund zur Klage.«
»Nein«, meinte Nielsen, »da haben Sie wohl Recht.«
Sein Blick ruhte auf Conny Lagerstedt.
»Was haben Sie für eine Krankheit?«, fragte er.
Lagerstedt lächelte ihn schief an.
»Ist Ihnen das nicht klar?«, erwiderte er nach einem Augenblick. »Denken Sie einfach an ein paar Buchstaben. Sie können auch das ganze beschissene Alphabet durchgehen, denn so allmählich gibt mein ganzer Organismus den Geist auf.«
»Möchten Sie das Gespräch beenden?«, fragte Nielsen.
Conny Lagerstedt zuckte mit den Schultern.
»Glauben Sie, das würde helfen?«
Dann holte er tief Luft.
»Vielleicht sollten wir uns ja wirklich etwas beeilen. Für längere Sitzungen bin ich nicht mehr in Form.«
Nielsen nickte.
»Haben Sie Lindberg auch in den letzten Jahren noch getroffen?«, fragte er.
»Gelegentlich sind wir uns über den Weg gelaufen.«
»Wissen Sie, welcher Beschäftigung er nachging?«
Conny Lagerstedt schien einen Augenblick lang nachzudenken.
»Er machte nur Unsinn«, antwortete er schließlich.
Nielsen sah ihn mit gerunzelter Stirn an, und Lagerstedt wiederholte:
»Wie gesagt, puren Unsinn! Nicht gerade, was man von ihm erwartet hätte.«
Er beugte sich vor.
»Bobban war clever, wussten Sie das? Und damit meine ich nicht, dass er sich aus allem rausreden konnte. Er war ganz einfach ein kluger
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