Tod im Sommerhaus
Kopf. Kapierte alles in Sekundenschnelle. Er hätte alles erreichen können. Studium, eine Ausbildung. Oder Bombengeschäfte, wenn ihn das interessiert hätte. Aber womit beschäftigte er sich, als ich ihm wieder begegnete? Mit Diebstahl! Zog herum wie ein gammliger Landstreicher und klaute unsinnigen Kram!«
Conny Lagerstedt schwieg. Dann erinnerte er sich an etwas und lachte heiser.
»Ich bin auch nicht gerade ein rühmliches Beispiel. Aber ich bin meinen Weg gegangen, obwohl kein Atomphysiker aus mir wurde. Aber was Bobban da betrieb, das war nicht mal Kleinsthandel, das war fast schon tragisch.«
»Was war das denn im Einzelnen?«, fragte Nielsen.
Lagerstedt griff wieder nach der Sauerstoffmaske und atmete tief ein. Trotzdem bereitete ihm das Atmen jetzt größere Mühe.
Als er wieder zu sprechen begann, keuchte er.
»Letztes Mal, besser gesagt zum allerletzten Mal, tauchte er vor drei Jahren, kurz bevor sie mich einbuchteten, in meiner damaligen Wohnung auf. Er hatte wohl nach mir gesucht. Er behauptete, er wolle sich mit mir unterhalten. Aber letztendlich ging es ihm nur darum, Geld zu leihen. Nur für ein paar Tage, er habe ein paar Eisen im Feuer, ich bekäme es nach einer Woche wieder zurück.«
Conny Lagerstedt schüttelte den Kopf.
»Ich warf einen Blick in sein Auto, da drin sah es aus wie in einem Trödelladen. Kupferkessel und lauter so Zeug, das die polnischen Zigeuner alten Weibern klauen. Sah aus, als würde es kaum genug Geld fürs Benzin einbringen. Natürlich lieh ich ihm was, für mich war das damals kein Problem …«
»Und er zahlte es zurück?«, fragte Nielsen.
»Einen Teufel tat er! Ich habe ihn seither nicht wiedergesehen.«
Conny Lagerstedt lachte und hustete. Nielsen erhob sich.
»Ich lasse Sie jetzt in Ruhe«, meinte er. »Nur eins wundert mich. Sie haben gar nicht wissen wollen, worum es geht.
Warum ich mich für Lindberg interessiere. Geben Sie immer so freimütig Auskunft?«
Conny Lagerstedt kniff die Augen zusammen. Er lehnte sich zurück und musterte Nielsen lange.
»Noch vor ein paar Jahren hätte ich Ihnen kein Sterbenswörtchen verraten. Da hätten Sie auch kaum gewagt, mich zu fragen. Aber jetzt …«
Er machte eine hilflose Geste.
»Jedenfalls konnte ich mich mit jemandem unterhalten. Das kommt in letzter Zeit nicht mehr sonderlich oft vor, beziehungsweise überhaupt nicht mehr. Ich könnte genauso gut schon im Grab liegen. Ich treffe keine Menschenseele mehr.
Außer meinen Alten. Und die Ärzte. Und das ist manchmal recht eintönig. Als Sie anriefen, sah ich in Ihrem Besuch eine willkommene Abwechslung. Warum Sie Bobban hinterherschnüffeln, ist mir außerdem scheißegal. Der ist erwachsen und muss selbst auf sich aufpassen. Und aus dem, was ich Ihnen erzählt habe, kann man ihm wohl kaum einen Strick drehen, oder?«
»Wahrscheinlich nicht«, erwiderte Nielsen.
Er nickte Lagerstedt zu und ging in die Diele.
»Grüßen Sie ihn von mir«, rief ihm Conny Lagerstedt nach.
»Sagen Sie ihm, er soll sich mal hierher bequemen, aber er muss sich beeilen.«
»Das tu ich«, antwortete Nielsen, »falls ich ihn treffe.«
Er drehte sich um und sah, dass der Vater wieder ins Wohnzimmer gekommen war. Er beugte sich über Lagerstedt und schob die Decke zurecht, die heruntergerutscht war. Dann zog er den mageren Körper seines Sohnes an sich und hielt ihn fest, ehe er ihn behutsam wieder zurücksinken ließ.
Er brauchte fast zwei Stunden für die Heimfahrt. Er fuhr auf Nebenstraßen über Enköping und dachte daran, dass er sich in der Gegend befand, in der Lagerstedt und Bo Lindberg ihre Jugend verbracht hatten. Hinter ihm schien die niedrig stehende, bleiche Sonne und verlieh der Landschaft etwas Unwirkliches wie aus einem Traum. Er sah die beiden vor sich. Fünfzehn oder sechzehn Jahre alt, aufgedreht, lachend und voller Kraft und Lebensfreude. Es musste etwas geschehen, egal was. Das Leben durfte nicht stillstehen. Diese Sorge, dass man gezwungen sein könnte, innezuhalten und nachzudenken. Man musste weiter, unbedingt …
Als er den Parkplatz erreichte, war es bereits elf. Er nahm den Fahrstuhl, betrat seine Wohnung und stellte sich ans Fenster. Es dämmerte. Eine sich langsam verdichtende Wolkendecke ließ nächtlichen Regen erwarten. Er sah auf die Uhr und überlegte, wie lange er warten müsste. Nach einer Weile legte er sich angezogen aufs Bett.
Als das Telefon klingelte, träumte er, dass er seinen toten Vater treffen sollte, dem er nur zweimal
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