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Tod im Staub

Tod im Staub

Titel: Tod im Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian W. Aldiss
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dicken Lausejungen mit der Sprue erkannt hatte. So sehr er uns auch beschimpfte und antrieb (und das mußte er, sonst hätten wir uns niemals bewegt), er hatte Mitgefühl, und es ist unwahrscheinlich, daß ich ohne Hammer jene harten Jahre überlebt hätte. Er war grob, unflätig - und ein Heiliger. Nicht daß er irgend etwas tun konnte, um die grausame Primitivität unseres Daseins zu mildern. Es gab keine ärztliche Betreuung, keine Wäscherei, und ich konnte die Kleidung, in der ich meine Strafe antrat, niemals wechseln.
    »Es ist ihnen egal, wenn du krepierst«, sagte Hammer eines Abends, als wir schlafen gingen. »Der menschliche Körper liefert wertvolle Phosphate für den Boden. Für die bist du tot mehr wert als lebendig. Schau dir nur mal die kostbaren Erdkrümel an, die du an dir herumträgst!«
    Ganz bestimmt waren die Maschinen und Roboter, die mit uns arbeiteten, wertvoller als wir. So zerkratzt und zerbeult sie auch waren, sie waren die besseren Arbeiter. Für jeden Landarbeiter war es eine Sache des persönlichen Stolzes, die Arbeit so langsam und nachlässig zu tun, wie es möglich war, ohne die Peitsche des Aufsehers zu schmecken.
    Von allen elenden und ausgestoßenen Menschen in unserem Dorf war ich wohl der einzige, der lesen konnte. Welch ein kostbares Gut war diese alte Kunst für mich! Ich verriet nicht einmal Hammer dieses Geheimnis.
    Wir wurden bei Morgengrauen durch Sirenengeheul und eine Inspektion der Aufseher geweckt, die uns an die Arbeit trieben. Die unerträgliche Monotonie wurde nur durch den Wechsel der Jahreszeiten unterbrochen, die selbst der Farmer in der fernen Stadt nicht abschaffen konnte.
    Jene Jahre bestanden nur aus Mühsal und Plage. Aber auch in diesen verlorenen Monaten gab es Lichtblicke. Eine freundliche Geste von einem Mitgefangenen konnte den ganzen Tag verschönern. Und im Sommer brachte das warme Licht der Sonne Leben in die Körper zurück, die im Winter dahinvegetierten. Dann gab es noch die Frauen des Dorfs, mit denen wir die traditionellen Vergnügungen der Armen pflegen durften.
    Auch der Tod war da, jener andere große Erlöser aus der Monotonie. Ich konnte jetzt nicht mehr über den Tod lachen, wie ich es getan hatte, als Hammer und ich noch Kinder gewesen waren, denn hier zeigte er sich in seiner wahren Gestalt, an die man sich nie gewöhnen kann, begleitet von plötzlichen Zusammenbrüchen, Schweiß und Tränen, seltsamen Geräuschen, Erbrechen, verdrehten Augen, Darmentleerungen.
    Trotzdem, je länger man in einem Dorf arbeitete, desto leichter wurde das Leben. Obwohl es in dem System keinen Platz für Vertrauen gab, konnte das Land nicht ohne ein gewisses Maß davon bearbeitet werden, und wenn man allmählich erkennen ließ, daß man nicht nur ein Halbverrückter war, wurden einem sehr eng begrenzte Freiheiten zugestanden; vermutlich beruhte das weitgehend auf der Tatsache, daß es keinen Ort gab, wohin man hätte fliehen können.
    Weil aber für den Menschen nichts als das, was er als die wahre Freiheit betrachtet - was immer das auch sein mag -, akzeptabel ist, war auch der beste Tag von der Monotonie des schlechtesten geprägt, und mein letzter Tag im Dorf begann genauso ereignislos wie alle vorhergehenden.
    Wie ich schon sagte, mußten wir sehr früh aufstehen. Unsere Schlafsäle waren Kunststoffbaracken, die sich um die allgemeine Kantine gruppierten. Um die Baracken zog sich ein Stacheldrahtzaun; dahinter lagen Garagen, Werkstätten und der Verwaltungsblock; dann kam noch ein Stacheldrahtzaun. Und um dieses kleine, triste Lager herum erstreckte sich das offene Land.
    Ich verließ die Baracke um 6 Uhr 30, in meinen Arbeitsanzug gekleidet, einer Art Overall wie ein Asbestanzug, leicht, aber luftundurchlässig und mit einem Verbundhelm. Ich ließ die Gesichtsplatte offen, da der Morgen so frisch war und wir am Tag vorher in diesem Gebiet nur wenig gespritzt hatten. Ein Maimorgen in England kann wunderschön sein, selbst für einen Landarbeiter. Man erinnert sich an den Winter und ist dankbar. Der Himmel war wie ein Blatt aus wolligen kleinen Zirruswolken - eigentlich kann man es kaum Wolken nennen, denn die Sonne schien durch sie hindurch. Über dem Land lag ein gelblicher Nebel, wie der Belag auf der Zunge eines Kranken, ein Überbleibsel der Ungeziefervernichtung, die wir hier vor zwei Tagen durchgeführt hatten. Das Gas hatte einen Geruch, der einen würgen machte, die meisten Männer hielten deshalb die Gesichtsplatte geschlossen, aber ich wollte

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