Tod im Staub
spielten - eine Tatsache, über die der Mensch niemals wirklich nachgedacht hat, weil sie ihm fremd ist.
Auch die Gestalt symbolisierte für mich einen immerwährenden, unermeßlichen Vorgang, der mich unmittelbar betraf und doch unergründlich war. Wenn jenes Phantom nur ein Produkt meiner eigenen Phantasie war, so bereitete mir die Vorstellung, daß sich auch in der Welt meines Unterbewußtseins ständig unbekannte und unerkennbare Prozesse abspielten, Unbehagen.
Ich glaubte, ein Echo dieses Unbehagens zu vernehmen, als ich die fremde Frau vor mir sah - oder zumindest dachte ich, es sei ein Echo, obwohl ich mich genausogut täuschen konnte, wie jene, die da glauben, das Meeresrauschen in einer Muschel hören zu können, wo es in Wirklichkeit nur das Pulsieren ihres eigenen Blutes ist. Aber als ich das zarte, blasse Gesicht vor mir sah, war mein erster Gedanke, daß mir in dieser Sekunde ein flüchtiger Blick auf die geheimnisvollen Kräfte vergönnt war, die unser Leben bestimmen.
In meinem tranceähnlichen Zustand war ich nicht fähig, ihre ersten Worte klar zu begreifen: »Sie sind also einer von den Banditen, die für Vanderhoot arbeiten.«
Mein Verstand war stumpf, nicht in der Lage zu reagieren.
»Wer sind Sie?« fragte ich.
»Hat Israt es Ihnen nicht gesagt? Oder wissen Sie es wirklich nicht?«
»Ich habe hier noch nichts erfahren, außer daß es in Walvis Bay Diebe und Gangster gibt.«
Sie runzelte die Stirn. »Nach allem, was Israt mir berichtet hat, möchte ich annehmen, daß Sie einiges mehr wissen, als nur das. Sicherlich reicht Ihre Intelligenz aus, um zu begreifen, daß Sie sich nicht retten können, wenn Sie den Unwissenden spielen.«
»Wovor sollte ich mich retten? Ich denke nicht daran, irgend etwas vorzuspielen. Ich habe wirklich keine Ahnung, was in Walvis Bay vorgeht. Bis heute war diese Stadt für mich nur ein Name auf der Landkarte.«
Sie seufzte und machte mit einer ihrer schmalen Hände eine abwehrende Geste.
»Dann behaupten Sie wahrscheinlich auch, daß Sie keinerlei Verbindung mit Vanderhoot haben.«
Der Name bedeutete mir nichts; ich tappte völlig im dunkeln und sagte ihr das auch.
Ihr Mund verzog sich zu einem kalten Lächeln, als sie sagte: »Sie können sich auf allerhand gefaßt machen.«
Sie betrachtete mich ohne jede Anteilnahme; ich hingegen konnte mein Interesse für sie nicht verbergen. Wenn ich tatsächlich in Schwierigkeiten war - über deren Natur ich im Augenblick nicht die leiseste Ahnung hatte -, dann war es diese Frau, die mir helfen konnte. Außerdem war sie faszinierend schön.
Auch ihr Gesicht war von Krankheiten gezeichnet, wie es bei den meisten Menschen in unserer unterernährten Welt der Fall ist, nur daß es wie ein Teil ihrer selbst wirkte. Es war bei ihr ebenso eine geistige Eigenschaft wie ein physisches Merkmal; es verlieh ihr einen Hauch von Geheimnis und geistigem Hunger. Ihre Figur war wohlproportioniert, wenn auch sehr mager, und ihre Zartheit wurde durch das schmale Kleid betont, das ihr hinten bis auf die Knöchel fiel, vorn aber bis über die Knie gerafft war, so daß man das scharlachrote Futter sehen konnte.
Das dunkle, fast glatte Haar rahmte wirkungsvoll ihr schmales, blasses Gesicht, das von vollendeter, fast überzarter Schönheit war. Über der Stirn wellte sich eine breite, weiße Strähne. Diese Frau wirkte gleichzeitig jugendlich und alterslos. Bei all der Lässigkeit, die sie zur Schau trug, konnte ich eine verborgene Spannung fühlen. Obwohl sie so zerbrechlich wirkte, schien sie einen festen Willen zu haben. Sie erweckte in mir zärtliche und gleichzeitig hoffnungslose Wünsche; und doch fürchtete ich mich vor ihr.
»Wer sind Sie?« fragte ich von neuem.
Wieder lächelte sie verächtlich.
»Ich glaube, Sie wissen sehr genau, daß ich Justine Smith bin.«
»Justine! Meine Justine!« keuchte ich, als ob die Worte mir auf den Lippen brannten; ich glaube, sie hatte kaum verstanden, was ich sagte. Meine Verwirrung stieg, als sie leicht den Kopf neigte und sagte: »Bevor ich Sie zu Peter bringe, sollten Sie mit in mein Apartment kommen und sich gründlich waschen. Ich werde Ihnen statt der Lumpen, die Sie tragen, ein paar anständige Sachen besorgen. Peter ist sehr anspruchsvoll.«
Peter ... der Mann, dem sie die Briefe geschrieben hatte ... Ja, diese Briefe, die so viel innere Qual ausdrückten, paßten zu diesem eleganten und subtilen Geschöpf.
»Wer ist Peter?« fragte ich.
Sie gab mir keine Antwort, sondern wandte
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