Tod im Staub
vorgetäuschten Türen in den Kulissen, und wir rannten in einen ebenso unwirklichen Korridor hinein. Es sah wie ein Korridor aus, war jedoch zum Himmel hin offen. Da er in einem sonderbaren Winkel anstieg, konnte ich den Ozean sehen. Unter uns war der Strand. Wir liefen hinunter und weiter zu einem anderen Gebäude. Ich hielt es zuerst für eine Kathedrale, aber es war eine Art Hotel, das innen mit formlosen Kunststoffbrocken angefüllt war. Wir rannten hinein. Justine schien nicht müde zu werden, ohne Pause lief sie Stockwerk um Stockwerk die Treppen hinauf. Endlich blieb sie vor einer Tür stehen, und ich holte sie ein; ich keuchte und glaubte, meine Lungen würden bersten.
»Geh hinein«, sagte sie und öffnete die Tür.
Es war ein Wohnzimmer, vollgestopft mit Grünpflanzen und Zierbäumen, von denen einige direkt aus dem Fußboden wuchsen.
Auch Maschinen standen da, zierlich und spitzig wie alte Skulpturen, mit winzigen Propellern, die sich schnurrend hinter Plexiglas drehten; diese Maschinen wurden ständig größer, genau wie die Pflanzen. Ich hatte Angst, denn das Blattwerk verbarg die gegenüberliegende Wand, und ich spürte dort Gefahr lauern. Ich drehte mich nach Justine um. Sie sah schmal und blaß aus; instinktiv trat ich auf sie zu, um sie in die Arme zu nehmen. Aber das Phantom war vor mir da! Es mußte hinter einem Baum versteckt gewesen sein, und jetzt richtete es jenen unheimlichen Blick auf mich, den ich nur zu gut kannte.
Zornig packte ich es beim Kragen. Ich fühlte seinen brennenden Atem auf meiner Wange, dann war es verschwunden.
»Wer war das?« fragte ich Justine; ich wollte herausfinden, ob auch sie es gesehen hatte.
»Es zeigt sich dir nur, wenn du dem Tod nahe bist«, sagte sie.
»Warum hat es dann dich berührt?«
Wieder verzog sich ihr Mund zu jenem grausamen Lächeln, das mir nun schon vertraut war.
»Ich bin immer dem Tod nahe. Ich hasse alles menschliche Leben, und der Tod ist mein Verbündeter.«
Zwischen den Bäumen stand eine Couch, über der ein trübes Licht brannte. Ich schlug vor, sie solle sich hinlegen und sich ausruhen. Sie war einverstanden, sagte jedoch, daß sie erst ihre Pflanzen begießen müsse. Sie nahm eine leuchtendrote Gießkanne zur Hand, ging zwischen den Bäumen und Maschinen umher und goß sie an den Wurzeln. Ich legte mich auf eine andere Couch und beobachtete sie.
Als Justine mit ihrer Arbeit fertig war, ging sie zu ihrer Couch zurück und stellte die rote Kanne daneben. Sie legte sich hin. Ich wollte zu ihr gehen, aber ich war nicht dazu fähig. Es war, als ob die Gießkanne mich daran hinderte; sie hatte die Kanne, ich nicht.
Dann sah ich, daß etwas mit den Pflanzen geschah. Sie krümmten und verdrehten sich auf seltsame Art und Weise. Ich fürchtete mich, bis ich erkannte, daß sie starben und in der letzten Agonie ihres pflanzlichen Daseins erzitterten. In der Luft lag ein Geruch von Phenolsäure, der mir aus den Jahren auf dem Land vertraut war. Justine hatte die Pflanzen vergiftet, ob absichtlich oder aus Versehen, ich wußte es nicht. Die Blätter wurden braun, die Zweige und Stengel sanken herab und verloren ihre Kraft.
Voller Verzweiflung ging ich zu Justine. Ich konnte sie kaum sehen. Sie sah so klein, so weiß, so unbedeutend aus. Ich rief ihren Namen, aber sie bewegte sich nicht. Ihr Mund war leicht geöffnet. Schluchzend warf ich mich neben sie auf die Couch.
Die Couch verwandelte sich sofort in eine rauhe, weiße Fläche, als ob sie verdorrt sei. Ermattet und kraftlos richtete ich meinen Blick zur Decke.
Ich lag in einer Betonröhre, die gerade weit genug war, daß ich den Kopf drehen und über die Schulter hinweg sehen konnte. In mir stieg jenes taube Gefühl auf, das den Verlust der eigenen Identität kennzeichnet, und das in sich selbst eine Identifikation ist. Non sum ergo sum. Ich lag in einer Betonröhre. Dadurch, daß ich nichts bin, bin ich in allem. Sogar in Betonröhren. Ich ließ mich unsichtbar durch die Kloaken der Welt treiben.
Obwohl dieser Bericht eher bezweckt, das Bild meiner Zeit als meiner selbst wiederzugeben, wie könnte ich das anders erreichen als durch die Schilderung der Szenen, durch die ich mich bewegte? Vielleicht führt das Skelett in meinem Körper ein merkwürdiges Eigenleben und sieht das Universum aus seiner Perspektive. Ein Mensch kann sich kaum seiner individuellen Verantwortung bewußt werden, wenn er sich vorstellt, daß sein Skelett vielleicht großartige Gedanken über kosmologische und
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