Tod im Staub
dahinschlurften, ohne Sinn, ohne Ziel. Wenn man keine Arbeit finden kann, hat man kein Geld für die Miete; man wird auf die Straße gesetzt und kann wegen Landstreicherei verhaftet werden. Aber hat man Arbeit gefunden und dazu das Glück, sich selbst samt Familie in ein eigenes Zimmer pferchen zu können, treibt einen die qualvolle Enge zum Wahnsinn; man leidet unter Platzangst, langweilt sich, streitet sich und rettet sich schließlich wieder auf die Straße. Viele Ehepaare haben es sich angewöhnt, daß der eine Partner auf der Straße herumwandert, während der andere schläft. Auf diese Weise hat jeder seine Ruhe, und die Geburtenregelung ist gesichert. Und das stundenlange Herumwandern ist auch ein gutes Mittel gegen den Hunger, denn die körperliche Müdigkeit überlagert allmählich den rebellierenden Magen. Sie stumpft die angespannten Nerven ab und versetzt einen in einen angenehmen Dämmerzustand. Es ist eine Art von Zerstreuung, von Lebensstil und auch eine Form des Absterbens.
»Die Menschen unserer Zeit haben keine Zukunft«, sagte March Jordill. »Unterhalb eines bestimmten Lebensstandards gibt es für den einzelnen nur das Heute. Die Macht, spekulieren zu können, mußte hart erkämpft werden, aber die Menschheit hatte diese Macht nur für kurze Zeit und ließ sie sich durch die Finger rinnen. Wenn man nicht an das Morgen denkt, findet man auch keinen Widerspruch darin, eine große Familie für ein Leben in Hunger aufzuziehen und dabei selbst zu verhungern. Die Armen haben die Welt geerbt und geißeln sie unentwegt mit ihren unermüdlichen Zeugungsorganen.« March Jordill, der Lumpensammler, war mein und Hammers Meister.
Wir kämpften uns durch die Menge der Streuner und Ausgestoßenen zu seinem Haus zurück. Manche Straßen wurden verbreitert, damit die Menschen sich besser bewegen konnten, andere wurden verschmälert, um mehr Wohnmöglichkeiten zu schaffen.
March Jordill hatte ein großes Haus mit vielen Büros, für Kleinunternehmen - die »Megapolis Krankenversicherung«, die »Vereinigte Milchwasser-Steifmittel Gesellschaft«, die »Finanzierungsgesellschaft für die menschliche Nutzwasserversorgung«, die »Zephir-Desinfizierungs-Gesellschaft«, die »Parallax-Geburts- und Leichenbitter«, die »Unclepox« - wo die Direktoren und Schreibkräfte nachts unter den Schreibtischen schliefen und ihr Glück priesen -, und im obersten Stockwerk die »March-Jordill-Lumpenhandelsgesellschaft«. Der First des Daches, das sich teilweise gesenkt hatte, erhob sich steil gegen den Himmel und die noch unbewohnten Sterne. Hier fand ich das erste Zuhause, das ich jemals gekannt hatte.
Hammer war als Lehrling an Jordill verkauft worden; mich hatte er vom Waisenhaus zugeteilt bekommen. Wir wußten, daß wir Glück hatten, denn March Jordill war ein Spinner. Im brutalen Lebenskampf der Stadt für einen geistig normalen Mann arbeiten zu müssen, war das Schlimmste, was einem passieren konnte. Und wir hatten auch Glück, daß die Finanzierungsgesellschaft für die menschliche Nutzwasserversorgung gleich in der Nähe war. Wir sparten unser kostbares Wasser, vergeudeten keinen Tropfen, füllten es sorgfältig in Behälter und verkauften es gegen ein geringes Entgelt an die Büros unter uns. Das Wasser, das wir innerhalb einer Woche einsparten und sammelten, machte uns im Vergleich zu den meisten anderen Raufbolden, die wir von der Straße her kannten, zu Millionären.
Wir fanden den Meister auf der Dachterrasse, wo er sich am liebsten aufhielt, wenn es in den muffigen Geschäftsräumen nichts zu tun gab, sich faul räkelte und mit der plattnasigen Witwe Lamb unterhielt, die für ihn vielerlei Dinge erledigte, von den trivialsten bis zu den schrecklichsten und geheimsten, vielleicht in der Hoffnung, er würde sie eines Tages heiraten und damit über ihren offiziellen Status als Ausgestoßene erheben.
Als wir auf ihn zutraten, packte Jordill uns bei den Schultern und betrachtete uns von oben bis unten. Die untere Hälfte seines Gesichts wirkte fast leer. In der oberen Hälfte drängten sich Haare, Stirnfalten, Augenbrauen, die tiefliegenden, von faltiger Haut umgebenen Augen, die kurze, frech aufgeworfene Stupsnase; die untere Partie wurde über dem langen, kahlen Drosselbartkinn von dem geraden Strich seines Mundes abgeteilt. Dieser fast lippenlose Mund öffnete und schloß sich beim Sprechen wie eine fleischfressende Pflanze.
»Ihr seid also den Kochtöpfen des Abschaums der Stadt entkommen und wieder zu mir
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