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Tod im Staub

Tod im Staub

Titel: Tod im Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian W. Aldiss
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sich die denn um uns kümmern? Aber ich sage, wir sind genauso Menschen wie die, oder vielleicht nicht? Warum sollte ein weißer Mensch nicht genausoviel wert sein wie ein schwarzer, sag' ich. Denen geb' ich's schon! Ich rede immer, wie mir der Schnabel gewachsen ist, jawohl, und in einer Sprache, die jeder verstehen kann, nicht wie dieses hochgestochene Zeug, das Sie sich aus den alten Büchern herausholen. Ich hab' auch Jack und allen anderen immer meine Meinung gesagt. Ich hab' mir von keinem Mann was gefallen lassen ...«
    »Anscheinend haben Sie sich sogar eine ganze Menge gefallen lassen, sonst hätten Sie nicht so verschwenderisch für Nachkommenschaft gesorgt«, bemerkte Jordill. »Aber können Sie denn nicht begreifen, daß der Aufstieg der afrikanischen Nationen die Folge unseres Abstiegs ist, nicht seine Ursache? Dieses Dahinschwinden des Geschichtsbewußtseins! In einem Teil der Welt nach dem anderen hat der Mensch seine natürlichen Hilfsquellen erschöpft, und zwar einfach deshalb, weil er seine angeborenen Neigungen nicht genauso unterdrücken kann, wie er seine Feinde unterdrückt. Erst verarmte der Mittlere Osten, dann der Ferne Osten, dann Europa und Amerika und die UdSSR. Auf diese Weise wurden die einzelnen Nationen immer schwächer, bis sie völlig zusammenbrachen, und so kommt es, daß heute nur noch die afrikanischen Staaten mächtig sind. In vielen Teilen Afrikas ist der Ackerboden immer noch fruchtbar genug, um eine Reihe von kämpferischen und vorausschauenden Nationen ernähren zu können. Natürlich kann auch dieser Zustand nicht ewig andauern. Wenn nicht möglichst bald drastische Maßnahmen ergriffen werden, werden wir das Ende der Menschheit erleben. Aber sehen Sie sich doch das Gesindel auf den Straßen da unten an! Glauben Sie, daß diese Leute auch nur einen Gedanken daran verschwenden?«
    »Na ja, da kann ich nichts sagen, aber ich habe immer zu Jack gesagt, du bist vielleicht größer als ich, aber es steht fest, daß du nicht halb soviel Verstand hast wie ich, du mit deinem komischen Religionsfimmel, wenn man es überhaupt Religion nennen kann. Ein paar Wochen lang war er Abstinenzler und führte sich auf wie ein Mönch. Und das war genau zu der Zeit, als es anscheinend noch nicht Mode war, sich zu beherrschen, wie heute manche Leute denken - Sie wissen schon, er wollte nicht mehr mit mir schlafen und so. Aber er war eben ein Mann und konnte das nicht lange durchhalten.«
    »Selbst in der Phase seiner höchsten Entwicklung«, sagte Jordill bedeutungsvoll, »konnte der Intellekt den Körper nie vollständig beherrschen ...«
    Und in diesem Stil ging es weiter, während ich mit offenem Mund lauschte. Ich war nicht nur verwirrt über das, was March Jordill sagte, sondern auch darüber, wie er es sagte, denn während dieser Unterhaltungen steigerte er sich in die Rolle eines Propheten hinein und sprach sehr gewunden und dunkel. (Als ich später selbst lesen konnte, fand ich dieselbe Ausdrucksweise in den alten Büchern wieder.) Je mehr er durch seine Reden in Hitze geriet, desto weniger hatten wir den Eindruck, daß die alte Lamb ihm noch folgen konnte, und allmählich begriff ich, daß er hauptsächlich zu sich selbst sprach. Erst viel später, als ich verurteilt worden war und bei der Arbeit als Landarbeiter ungestört nachdenken konnte, kam mir die Erkenntnis, daß mein Meister sich in dieser Hinsicht in nichts von der alten Lamb und von unzähligen anderen Menschen, die ich kannte, unterschied. Sogar beim Lesen der alten Bücher konnte ich mir nie ganz klar darüber werden, ob ihre Verfasser sich deshalb so viel Mühe gegeben hatten, um anderen Menschen etwas zu sagen, oder nur, um ein Selbstgespräch zu führen. So entstand im Laufe der Zeit vor meinen Augen ein eigenes Bild der Welt, in der ich lebte, und ich kam zu dem Schluß, daß jeder einzelne sich aus Notwehr nach innen kehrte, nur noch sein eigenes Selbst umkreiste, weil er von seiner Umgebung so bedrängt wurde. Lange hatte ich geglaubt, daß dies die einzige Erkenntnis sei, zu der ich aus eigener Kraft gekommen war und die ich nicht March Jordill verdankte. Heute weiß ich nicht einmal mehr, ob es überhaupt eine Erkenntnis war.
    Mein Meister brach die seltsame Unterhaltung ab, als die alte Witwe plötzlich in verspätete Tränen über den Tod ihres Mannes während der Aufstände ausbrach. Jordill stand auf, kehrte der weinenden Frau den Rücken, stellte das Manskin-Idol auf die Brüstung, die rund um das Dach lief, und

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