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Tod im Staub

Tod im Staub

Titel: Tod im Staub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brian W. Aldiss
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deutlicher zeigen, daß man ein erbärmlicher Schwächling ist?
    Jetzt, da ich reifer geworden bin, begreife ich, wie sehr der Charakter eines Menschen von der Zeit abhängt, in der er lebt; allgemeiner Sittenverfall und Verrat korrumpieren auch den Charakter des einzelnen, und wo die Furcht regiert, ist kein Platz für Vertrauen. Aber damals glaubte ich immer noch an die Vorstellung, daß es der Mensch ist, der die Geschichte formt, und nicht umgekehrt, und daher fühlte ich mich von Justines Worten um so tiefer getroffen.
    Ich erinnere mich, daß ich die Augen niederschlug und ein paar Schritte zur Seite machte.
    »Schweigen Sie, Justine, das geht Sie nichts an. Vielleicht kennen Sie meine Vergangenheit nicht. Männer wie er sind es, die mit ihrem teuflischen System, nach dem sie sowohl die Menschen als auch das Land ausbeuten, England ruinieren. Aber davon verstehen Sie nichts.«
    »Sie brauchen nicht so herablassend zu tun. Ich bin in England gewesen, und Peter und ich haben keine Geheimnisse voreinander. Wir haben beide den gleichen Glauben.«
    »Ach, hören Sie doch mit Ihrem Glauben auf! Was ich meine, ist, daß Sie keine Ahnung haben, was er mir persönlich angetan hat.«
    »Ich weiß, daß er Sie vor der Landarbeit gerettet hat. Das hat er selbst gesagt, und er lügt nicht. Außerdem ist England am Ende, ausgelaugt, ruiniert, wie all die anderen miesen, kleinen europäischen Staaten, wie Rußland und China und auch die Vereinigten Staaten von Amerika, wie sie früher hießen, und wo ich geboren wurde. Sie wissen nichts darüber, wie es in der Welt aussieht. - Sie sind eben nur ein Plebejer. Afrika ist der einzige Kontinent, dessen Menschen und Staaten noch Kampfgeist haben. Was glauben Sie denn, weshalb die anderen, armseligen, bankrotten Länder, wie zum Beispiel das Ihre und das meine, mit den afrikanischen Staaten Bündnisse und Verträge abschließen? Damit sie von ihnen Hilfe bekommen - so wie den Sand, den Sie holen sollten.«
    »Sand! Sand! Mein Gott, Justine. Welche Großzügigkeit! Wie edel von den Afrikanern, England ein paar Schiffsladungen Sand abzugeben! Aber Sie wissen sehr gut, daß wir dafür bezahlen müssen - und dabei könnten sie allein an ihrer verfluchten Skelettküste genug Sand abbauen, um ganz England zuzuschütten. Ich möchte wetten, daß Ihr Busenfreund nebenan auch bei diesem Geschäft den Rahm abschöpft. Was macht er denn eigentlich hier, wenn es sich nicht um irgendein neues Geschäftchen handelt?«
    »Wir sind aus anderen Gründen hier.« Jetzt hatte ich sie getroffen. Sie holte aus und schlug mir ins Gesicht. »Gründe, die Sie nie verstehen werden! Begreifen Sie denn nicht, wie sehr wir Menschen Ihres Schlages hassen? Und sind es nicht gerade Menschen Ihrer Sorte, die mit ihrer so erbärmlichen Rechtschaffenheit, mit ihrem materialistischen Stolz die Welt in den Abgrund stürzen? Millionen und aber Millionen, die sich in ihrer Engstirnigkeit an den Reichtümern unserer Erde mästen!«
    So sehr ich auch in meinem Stolz verletzt war, erwiderte ich: »Gut, Justine, Sie sind so eine kleine Aristokratin und verabscheuen das gewöhnliche Volk. Fast die ganze Geschichte hindurch hatte Ihre Klasse die Oberhand. Aber ich bin genausoviel wert wie Sie! Ich kann auch lesen, genau wie Sie, ohne deswegen meine Nase so hoch zu tragen! Mein Magen knurrt wirklich laut vor Hunger, und Sie können seelenruhig davon sprechen, daß ich mich an den Reichtümern unserer Erde mäste! Typisch für die Sorte Menschen, zu der Sie gehören!«
    Sie drehte sich abrupt um und ging zum anderen Ende des Zimmers.
    »Unsere Ansichten sind diametral; es war dumm von mir, mich mit Ihnen in eine Diskussion einzulassen«, sagte sie. Ihr Zorn hatte sich in dem Moment gelegt, als ich meine Wange rieb. »Ich war mir nicht im klaren darüber, wie verbohrt Sie sind. Die Regierungen, die heute die Welt beherrschen, können sich nur deshalb fast ohne Widerstand an der Macht halten, weil niemand mehr da ist, der eine klare Vorstellung von der menschlichen Natur hat und den Zustand beurteilen kann, in dem die Menschheit sich heute befindet. Dieser Zustand konnte sich entwickeln, weil es nicht mehr genug Leute gab, die fähig waren, die menschliche Natur auch von einer metaphysischen Warte aus zu beurteilen. Sowohl unser Geist als auch unsere Landwirtschaft sind bankrott; vielleicht geht das immer Hand in Hand.«
    Justine sagte das alles etwas hölzern, und mir kam der Gedanke, daß sie etwas nachplapperte, das sie von

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