Tod im Tauerntunnel
trocken zurück und nimmt sich eine Brezel. »Wenn ich ehrlich bin, muß ich sagen, daß die mögliche Ermordung des Herrn Korbut mich nicht unbedingt davon abhalten könnte, an einer Betriebsfeier teilzunehmen.«
Frau Jarosewitch steht auf und geht vor dem Fenster auf und ab. Sie könnte genausogut nackt sein; gegen das Licht sieht man jede Kontur ihres Körpers genau. Bienzle denkt, wenn die mich verführen wollte, ich würde mich nicht wehren...
Aber sie will offenbar nicht. »Wenn ich Sie richtig verstehe«, sagt sie langsam, »denken Sie, ich könnte auch in Lebensgefahr sein.«
»Das kommt darauf an. Ich weiß nicht, wieviel Sie wissen, ob Sie Ihr Mann in seine Geschäfte eingeweiht hat. Ob Sie von dem Projekt wußten, das ihn vielleicht sein Leben gekostet hat.«
Frau Jarosewitch kommt auf ihn zu und bleibt wenige Zentimeter vor ihm stehen. Zum Greifen nahe. Sie riecht wie ein exotischer Blumen- und Kräutergarten. Und sie sagt ganz ernst und verblüffend selbstbewußt:
»Herr Kommissar, Sie können zur Kenntnis nehmen: Mir kann nichts passieren!«
Dann setzt sie sich wieder.
Bienzle ist überrascht und denkt, entweder hat sie der Alte aus allem herausgehalten - das ist das wahrscheinlichste -, oder sie gehört zur anderen Seite; dann braucht sie keine Angst zu haben... Oder hat sie sich auf die andere Seite geschlagen, weil sie der Alte aus allem herausgehalten hat?
»Noch etwas Kaffee?« fragt sie.
»Wenn Sie mir einen Schnaps geben könnten... Ich habe heute nacht um vier bei einem Bäcker ofenwarme Brötchen gegessen, und die liegen mir jetzt im Magen.«
Heini bringt einen Schnaps.
»Sie sind wohl immer in Horchweite?« fragt Bienzle.
»Es gehört zu meinen Aufgaben, darauf zu achten, daß Frau Jarosewitch ungeschoren bleibt«, sagt Heini.
Bienzle bittet, telefonieren zu dürfen. Im Krankenhaus sagt eine Schwester, Fräulein Schmiedinger sei noch nicht bei Bewußtsein.
»Dieser Verein hat einen großen Fehler gemacht«, sagt Bienzle finster, als er an den Frühstückstisch zurückkehrt. »Er hat mich ganz persönlich gegen sich aufgebracht.«
»Und was bedeutet das?« fragt Hedwig Jarosewitch.
»Das bedeutet, daß ich in meinem Zorn weit mehr tue, als man von meiner Gehaltsklasse erwarten kann... Ich werde nicht aufgeben, bis ich diese Leute geschnappt habe.«
»Und Sie glauben nicht, daß Sie sich da zuviel vorgenommen haben?«
»Doch, bestimmt. Aber der Mensch wächst ja bekanntlich mit seinen höheren Zwecken...«
Bienzle geht ohne Dank und Gruß.
Im Wagen schaltet er das Radio an. Norbert Scheumann, beliebter Radioplauderer des Süddeutschen Rundfunks, begrüßt gerade die verehrten Hausfrauen und als Zaungäste die lieben Hausväter und verspricht, daß mit Musik alles besser gehen werde. Bienzle registriert, daß es neun Uhr fünf sein muß, Zeit für die tägliche Hausfrauensendung. Scheumann spielt Oldtimer. Bienzle läßt den Motor an und fährt den Berg hinunter.
Gleich hinter dem Telefonhäuschen passiert es.
Das Sträßchen macht eine enge Kurve; Bienzle tritt auf die Bremse, und das Pedal rutscht widerstandslos durch bis zum Boden. In seiner Panik tritt Bienzle die Kupplung. Der Wagen bekommt zusätzlich Fahrt. Jetzt will er den ersten Gang hineinreißen, aber es geht nicht mehr... Die Handbremse! Der Weg vom Schaltknüppel zur Handbremse erscheint ihm ungeheuer lang. Der Wagen rast auf einen Vorgarten zu. Die Bremse faßt. Die Reifen quietschen. Das Heck reißt nach rechts weg. Der VW bohrt seine Schnauze in den Gartenzaun. Bienzle wird gegen das Armaturenbrett geschleudert. Die rechte Schulter prallt gegen die Frontscheibe, die sofort splittert.
Plötzlich ist es still.
Bienzle flucht und krabbelt aus dem Auto. Den rechten Arm kann er nicht bewegen. Er besieht sich den Schaden.
»Do hört sich doch alles auf!« keift eine Frau aus einem Fenster im ersten Stock. »Der schöne Gartezaun - und erscht letzscht Woch habe mir'n neu gestricha...«
Ein Ford Capri kommt die Straße herauf und hält neben Bienzle. »Kann ich ...« weiter kommt der Fahrer nicht.
Bienzle hat seinen Polizeiausweis aus der Tasche gefischt, was gar nicht so leicht war, denn er trägt ihn in der rechten Jackentasche, und der rechte Arm gehorcht immer noch nicht. »Kriminalpolizei«, sagt er. »Fahren Sie mich sofort zum Haus Nummer 111.«
Der Mann öffnet ihm die Tür; er steigt ein, und der Mann startet wortlos. Die Frau keift.
»Sie könnet doch des Auto da net stehe lasse...«
Bienzle tritt
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