Tod im Tauerntunnel
nachdenklich an.
»Wissen Sie was«, sagt der, nun ganz selbstbewußt, »wir zwei gehen mal in mein Zimmer nach hinten, und Sie diktieren mir alles, was Sie wissen, gleich in die Schreibmaschine... Wären Sie damit einverstanden, Herr Kommissar?«
Bienzle tut so, als müßte er überlegen.
Gächter denkt, o du schwäbisches Schlitzohr! und sagt: »Ich hätte da keine Bedenken, Herr Kommissar; Fräulein Stern scheint ja durchaus aussagebereit zu sein.«
Bienzle schaut ihn an und denkt, raffinierter Hund! Dann sagt er: »Na, meinetwegen. Herr Gächter bleibt hier und wird überprüfen, was dabei herauskommt. Wenn Fräulein Stern eine vernünftige Aussage macht, kann sie freigelassen werden.«
In der Eberhardstraße findet Bienzle ein Taxi, das ihn nach Hause bringt. Der Fahrer redet ohne Punkt und Komma über den VfB Stuttgart.
Bienzle, sonst ein Fußballnarr, ist es egal. Er hört die Stimme des Taxichauffeurs, als ob sie aus großer Entfernung käme, sagt mal »tatsächlich?« oder »mhm«, oder »so isch's no au wieder«.
Als der Wagen den Wilhelmsplatz in Cannstatt passiert, ist er eingeschlafen. Kurz nach neun Uhr rüttelt ihn der Fahrer wach. Bienzle zahlt, läßt sich eine Quittung geben und geht ins Haus.
Seine Frau sitzt im Fernsehsessel und schaut kaum auf. Er gibt ihr einen flüchtigen Kuß auf die Stirn. Dann geht er in die Küche und durchsucht den Kühlschrank.
»Soll ich dir was machen?« fragt sie lustlos aus dem Wohnzimmer.
»Nein, laß nur; ich find schon was«, ruft er und greift sich ein Ripple aus dem obersten Kühlschrankfach. Sie weiß ja nicht, daß er schon ein Knöchle gegessen hat.
Er lehnt sich gegen den Küchenschrank und beißt kräftig in das Fleischstück hinein; gleichzeitig öffnet er mit der linken Hand eine Bierflasche. Er trinkt und ißt abwechselnd und fühlt sich müde und ausgebrannt. Aus dem Wohnzimmer hört er die Stimme Rudi Carrells.
Bienzle putzt sich die Finger an einem Küchenhandtuch ab und geht ins Zimmer.
»Daß du dich auch mal wieder sehen läßt!« sagt Hanna.
»Ja, gell, do guckscht?«
»Du hältst es ja nicht mal mehr für nötig...«
»Sei so gut und laß das«, sagt er müde; »ich bin am Ende. Das ist doch immer so, wenn ich an so einem Fall bin.«
Hanna dreht sich um und schaut wieder Rudi Carrell zu. Bienzle legt sich auf die Couch und fängt an, die Zeitung zu lesen, aber schon nach wenigen Minuten ist er eingeschlafen. Hanna steht auf und holt aus dem Schlafzimmer eine Wolldecke, die sie vorsichtig und sehr sanft über ihn breitet. Sie schaut eine Weile auf ihn hinab, schüttelt dann leicht den Kopf, beugt sich zu ihm und haucht ihm einen Kuß auf die Stirn. Dann dreht sie den Ton des Fernsehers so leise, daß sie ihn gerade noch versteht.
Am anderen Morgen ist Bienzle ungewöhnlich gut aufgelegt. Im Badezimmer singt er Fragmente aus Opernarien, wobei er immer wieder versucht, vom tiefsten Baß bis ins höchste Falsett emporzuklettern. Er macht sogar ein paar Kniebeugen.
Seine gute Laune hält auch noch bis zum Frühstück an. Er übersieht die Joghurtbecher und holt sich aus dem Kühlschrank ein Stück Rotwurst. Hanna sagt nichts dazu. Sie schüttelt nur vorwurfsvoll den Kopf.
Bienzle schlägt die Zeitung auf. »Zwei Verhaftungen im Mordfall Jarosewitch ...« liest er. Und da ist seine Stimmung hin. »Dia Knallköpf!« schimpft er. »Diese Grasdackel!«
»Was hascht denn scho wieder?« fragt seine Frau.
»Daß die 's Wasser net halte kennet! Sogar die Namen stehen da drin. Kann sich doch jeder ausrechnen, daß die zwei singen und... Aber des hot ja alles kein Wert - was reg ich mich auf ? Gib mr liaber no en Kaffee.«
Bienzle macht sich keine Illusionen darüber, daß die Verhaftung von Korbut und Grüner auch ohne Zeitungsmeldung allen Interessierten bekannt ist; aber er ärgert sich, daß er wieder einmal um sein größtes Vergnügen gebracht wurde: die Pressekonferenz. Jeder im Polizeipräsidium weiß, daß es Bienzles schönste Stunden sind, wenn er im Sitzungszimmer, flankiert vom Pressereferenten und vom Präsidenten, minutiöse Schilderungen seiner Fahndungsarbeiten geben kann. Er arbeitet oft eine ganze Nacht an diesen Reports für die Presse. Für ihn ist es eine Art Ritual, der letzte Akt eines Falles, wenn er den gespannten Journalisten in druckreifen Formulierungen Schwierigkeiten, Rückschläge und Erfolge vermelden kann. Dabei tritt er mit kalkulierter Bescheidenheit auf - ein sympathischer Beamter, dem man nicht erst
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