Tod im Tauerntunnel
das Ganze.
»Im Mathäser kriegt man um diese Zeit frisches Eisbein aus dem Sud«, sagt Gächter, als sie die Festgenommenen auf dem Ersten Revier abgeliefert haben.
»Eisbein - wenn ich das höre! Knöchle heißt das bei uns«, belehrt ihn Bienzle.
Im Mathäser bekommen sie Bienzles Lieblingsplatz in einem kleinen Erker im ersten Stock. Als die behäbige Bedienung das Bier auf den rustikalen Holztisch stellt, streckt der Kommissar die Beine weit von sich und sagt:
»Ein Scheißjob ist das, aber ehrlich!«
Bienzle kommt plötzlich alles unwirklich vor... Eine gutbürgerliche schwäbische Wirtschaft. An den Tischen sitzen eingefleischte ›Viertelesschlotzer‹, aber auch Frauen, müde vom späten Einkauf, die prallen Taschen neben sich, bei einer Nudelsuppe oder einem schwäbischen Vesperteller. Und eben noch haben Gächter und er - na, eigentlich mehr Gächter - den Widerstand eines chicagoreifen Gangsters gebrochen... Am Stammtisch, bunt gemischt, Rentner und Redakteure der Stuttgarter Zeitung, die wenige Schritte entfernt im Tagblatturm ihre Schreibtische stehen haben. Sie politisieren und philosophieren auf eine Art, die man sonst nirgends auf der Welt findet.
Satzfetzen wehen herüber. Ein gesetzter Mann sagt zu seinem Nachbarn bedeutungsvoll: »Also woischt, domm ischt er jo net, der Kerle.« Der Angesprochene denkt intensiv nach und erwidert dann nicht weniger gewichtig: »Aber woischt was, Anton?« - »Ja, was?« fragt der und bekommt die Antwort: »Gscheit ischt er grad au net ...«
Da bringt die Bedienung das Essen. »Einmal Knöchle ...« Sie stellt Bienzle den Teller hin, dann Gächter den zweiten: »... und einmal Eisbein!«
Genau wie sie bestellt haben.
Die Umgebung auf dem Ersten Polizeirevier ist Bienzle fremd und unbehaglich. Er fühlt sich in dem einfach möblierten Dienstzimmer des Revierleiters nicht wohl. Weil er sich zwischen den beiden unbequemen dunkelgelben Holzbürostühlen nicht entscheiden konnte, hat er sich auf das Fensterbrett gesetzt und läßt die Beine gegen die Holzverschalung des Heizkörpers baumeln. Gächter hat seinen Lieblingsplatz eingenommen: Er lehnt im Türrahmen.
Grüner sitzt mit dem Rücken zum Schreibtisch auf einem der Stühle und starrt auf seine Fußspitzen. »Geben Sie sich keine Mühe«, murrt er, »ich sage nichts.«
Bienzle seufzt, gähnt und schaut schweigend auf Grüner hinab. Die Müdigkeit steigt wieder von den Füßen her langsam in ihm auf. Jetzt hat sie sich in den Kniekehlen breitgemacht.
»Sie können mit mir machen, was Sie wollen«, sagt Grüner, »ich weiß nichts, und ich habe nichts zu sagen.«
Bienzle schwankt zwischen Müdigkeit und Wut. Er schaut auf die Uhr. Es ist kurz nach neun. Er denkt an Hannelore Schmiedinger.
Er möchte ihr jetzt gegenübersitzen, Tee trinken, reden, Musik hören, den Regen an die Fenster schlagen hören... So ein Unsinn, denkt er, es regnet nicht, und überhaupt mag ich ja gar keinen Tee... Mühsam schwingt er sich von der Fensterbank, greift nach dem Telefonhörer und wählt die Nummer des Krankenhauses. Dann fragt er nach Doktor Hilpert, wird mit einer Schwester verbunden und sagt: »Hier ist Bienzle, Kriminalkommissar Bienzle. Wie geht es Fräulein Schmiedinger?«
Unbewußt und ohne etwas wahrzunehmen starrt er dabei Grüner ins Gesicht, bis der wegschaut. Geistesabwesend legt Bienzle nach einer Weile den Hörer auf.
»Nun?« fragt Gächter.
Bienzle zuckt die Achseln und wendet sich ruckartig Grüner zu. Der zuckt zusammen, als ob er Schläge erwarte.
»Dreckskerl«, sagt Bienzle und geht wieder zur Fensterbank.
Gächter sagt: »Hör mal, Ernst, das hier können wir uns doch schenken; der Typ ist schuldig.«
»Mhm«, macht Bienzle und läßt seine Absätze gegen die Holzverschalung bumsen.
»So kriegen Sie mich nicht«, sagt Grüner. »Das könnte Ihnen so passen - einem armen Schwein ein paar Dinge anzuhängen, die er gar nicht getan hat.«
»Es«, sagt Gächter.
»Was?«
»Es, das arme Schwein.«
»Ach, lecken Sie mich doch am Arsch!«
»Beamtenbeleidigung.« Gächter grinst.
Bienzle starrt Grüner noch immer an. Seine Augen sind blutunterlaufen. »Sie sind ein mieser Ganove. Sie haben auf Befehl oder gegen Geld versucht, Fräulein Schmiedinger und Frau Korbut umzulegen… Jarosewitch haben Sie nicht auf dem Gewissen; das war saubere Arbeit. Sie sind als Killer ein Stümper: das ist nun mal ein Unterschied, ob ich mich in der Altstadt rumprügele, alten Frauen die Handtasche wegreiße,
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