Tod im Weinkontor
drehte sich um – und stand Pfarrer Hülshout
gegenüber. Der alte Priester war rot vor Wut und ballte die
Faust. »Hier ist keine Herberge für Weibsvolk. Geht zu
Euresgleichen, wie Grete es Euch anempfohlen hat.«
»Wisst Ihr nicht, wer ich bin?«
»Ihr seid Elisabeth Bonenberg, geborene Leyendecker, die
Schwester eines Teufelsbündners. Und wer die junge Frau in
Eurer Gesellschaft ist, will ich gar nicht erst wissen. Ihr habt
dem armen Andreas schon genug Flausen in den Kopf gesetzt, und
nun ist er gar in arge Not geraten. Er wird es überstehen,
aber tagelang hat er zwischen Leben und Tod geschwebt. Und das
alles nur wegen Euch. Für Euch ist hier kein
Platz.«
»Komm, Anne, wir gehen«, sagte Elisabeth
verbittert. »Ich habe mich sehr getäuscht, was die
Gastfreundschaft dieses Hauses angeht.« Grete führte
die beiden hinaus. Die Tür hinter ihnen schloss sich mit
einem endgültigen Schlag.
Das Kloster der Klarissen lag zwischen dem Berlich und der
alten Römermauer hinter ausladenden Ulmen und war von
kleinen Feldern umgeben. Der Ort strahlte Ruhe aus. Elisabeth und
Anne klopften an der Klosterpforte, und rasch wurde eine kleine
Klappe zurückgeschoben, und zwei himmelblaue, neugierige
Augen erschienen in der Öffnung. Als die Pförtnerin
sah, dass zwei Pilgerinnen vor ihr standen, entriegelte sie
sofort das Tor. Elisabeth kam sich wie eine Hochstaplerin vor.
Die Pförtnerin, eine junge Nonne, führte die beiden an
der einschiffigen Kirche mit hohen, hellen Fenstern vorbei in das
Innere des Klosters, wo sie zu der Nonne gebracht wurden, die
für die Unterbringung der Gäste zuständig war. Sie
stellte sich als Mutter Adelgundis vor und wies den beiden Frauen
je eine winzige Kammer gegenüber der Kirche an. Mit leiser
Stimme stellte sie klar, dass das Reden innerhalb des Klosters
nicht gern gesehen wurde. Anne spendete aus ihrem Säckel
für die Unterbringung und Speisung einen fürstlichen
Betrag, der die Nonne etwas freundlicher stimmte. Dann begaben
sie sich auf ihre Kammern, denn es war schon spät; die
Vesper und das Abendessen waren bereits vorbei, und an der
Komplet wollten die beiden jungen Frauen nicht mehr
teilnehmen.
Zum ersten Mal seit vielen Wochen schlief Elisabeth gut, doch
als sie am Morgen ausgeruht aufwachte, hatte sie ein schlechtes
Gewissen. Sie dachte an den armen Andreas und fragte sich, wie
lange es dauern würde, bis er so weit genesen war, dass man
die Nachforschungen gemeinsam weiter betreiben konnte.
Einmal am Tag ging sie hinaus und begab sich in das Pastorat
von Sankt Kolumba, doch immer wieder musste sie erfahren, dass
Andreas noch völliger Ruhe bedurfte.
Nach einer Woche reichte es Elisabeth. Je länger sie
untätig hier herumsaß, desto unwahrscheinlicher wurde
es, dass sie noch Licht in das Dunkel um den Tod ihres Bruders
bringen konnte. Sie verließ ihre Kammer und klopfte leise
an Annes Tür. Die junge Frau öffnete. Ihr schien die
letzte Woche der Ruhe und des Friedens in diesem Kloster gut
getan zu haben. Sie war jeden Tag zur Messe gegangen, hatte die
meisten Horen mitgebetet und schien allmählich wieder in
Einklang mit sich selbst zu kommen.
»Wir müssen etwas unternehmen«,
flüsterte Elisabeth, als Anne vorsichtig die Tür
geschlossen hatte.
»Ja, aber was können wir denn schon tun?«,
fragte die blonde Frau leise zurück.
»Ich weiß zwar immer noch nicht, was es mit dieser
geheimen Versammlung im Waterstone Inn auf sich hatte, aber eines
weiß ich: Dein Gatte ist gemeingefährlich. Wir sollten
ihn uns vornehmen.«
Anne sah Elisabeth ungläubig und ängstlich an.
»Er ist stärker als wir, und wir wissen nicht, wo er
sich aufhält.«
»Ich hatte gehofft, dass wir das mit Andreas’
Hilfe herausbekommen. Aber da er immer noch nicht in der Lage
ist, das Haus zu verlassen – oder seine Magd mir das
wenigstens jeden Tag weismacht –, müssen wir die Sache
selbst in die Hand nehmen. Wir haben noch ein paar Stunden bis
Sonnenuntergang. Komm, wir ziehen durch die Herbergen.«
Anne sah Elisabeth entsetzt an. »Allein? Wir? Das geht
nicht!«
»Warum nicht? Haben wir nicht einen Mund, mit dem wir
Fragen stellen können? Haben wir nicht einen Kopf, mit dem
wir die Antworten überdenken können? Haben wir nicht
Füße, die uns überallhin tragen, wohin wir es
wünschen?«
»Man wird uns nichts sagen…«
»Lass das mal meine Sorge sein. Komm.« Sie zerrte
an Annes Ärmel. Die blonde Frau
Weitere Kostenlose Bücher