Tod in Blau
entgegnete Oswald leise.
Der Mann lachte auf. »Das
wird ja immer schöner.« Er überlegte kurz und fuhr sich
übers glattrasierte Kinn. »Na gut, ich werde sehen, was sich
machen lässt. Ich melde mich auf dem bekannten Weg bei Herrn von -
Verzeihung, wir wollten ja keine Namen nennen«, sagte er ironisch
und steckte die Liste ein. »Zu Ihren Diensten.« Mit diesen
Worten trank er sein Bier aus, stand auf und ließ Lutz Oswald allein
in der Nische zurück. Verdammt, der Auftritt war mehr als demütigend
gewesen. Er griff nach seinem Mantel, legte einen Geldschein auf den Tisch
und verließ rasch die Bierhalle. Warum man ausgerechnet ihn zu
diesem Treffen geschickt hatte, konnte er sich nicht erklären. Von
Ruhm und Ehre war die Rede gewesen, als man ihn für die Gesellschaft
geworben hatte, die sich so überaus exklusiv gab, und von der
Wiederherstellung verlorener nationaler Würde, nicht aber von
Verabredungen in anrüchigen Bierhallen, in die er freiwillig niemals
einen Fuß gesetzt hätte. Nun ja, es war eben eine Probe, dachte
er bei sich, winkte ein Taxi herbei und stieg ein.
Er merkte nicht, wie sich
eine Gestalt aus dem Schatten löste und ihm nachsah.
*
Leo Wechsler ging durch die
Turmstraße, den Mantelkragen hochgeklappt. Es war feucht und
regnerisch, der Oktober fühlte sich schon nach Winter an.
Ilse war an diesem
Sonntagnachmittag mit Bruno Schneider und den Kindern ins Kino gegangen.
Im Grunde kein schlechter Kerl, dieser Bruno Schneider, Ilse hatte
wirklich Glück gehabt. Endlich jemand, der spürte, dass sie
unerfahren war und sich über seine Aufmerksamkeiten mehr freute als
eine Frau, die es gewöhnt war, von Männern umschwärmt zu
werden.
Leo hatte das Bedürfnis
nach einem Spaziergang gehabt. Instinktiv war er in Richtung Beusselstraße
gegangen und fand sich nun vor der Leihbücherei von Clara Bleibtreu
wieder, die am Wochenende natürlich geschlossen war. Auf einmal spürte
er ein wenig von dem inneren Frieden, nach dem er sich unbewusst gesehnt
hatte. Er blieb vor dem Schaufenster stehen, nahm den Hut ab und lehnte
die Stirn einen Moment lang gegen die kühle, feuchte Scheibe. Er fuhr
zusammen, als die Tür mit einem Klingeln aufschwang. »Guten
Tag, Herr Wechsler. Ich hatte heute gar nicht
mit Kundschaft gerechnet.« Clara Bleibtreu stand in der Tür,
die sie einladend aufhielt. »Kommen Sie doch herein.«
Leo zögerte einen
Moment. »Ich wollte nicht stören.«
»Das tun Sie nicht. Ich
habe nur ein bisschen umgeräumt.« Der Geruch, der ihn umfing,
war seltsam vertraut - altes Papier und Holz, warm und anheimelnd. Und
noch etwas anderes, ein schwacher Hauch von Parfüm. »Diese
Seite ist jetzt ganz den neuen Büchern vorbehalten, mein erster
Schritt zu einer richtigen Buchhandlung«, sagte sie sichtlich stolz.
»Und wie verkauft sich
Heinrich Mann?«, fragte Leo. Der Untertan war das erste Buch, das er
sich hier je angesehen hatte.
Clara Bleibtreu lächelte.
»Na ja, dann und wann verirrt sich schon jemand hierher, der so
etwas kaufen möchte. Außerdem habe ich Kontakt zu den
Sozialdemokraten hier in Moabit aufgenommen, die möchten mich zu
einem Vortrag über neue Literatur einladen. Wenn man auf die Leute
zugeht, sind sie meist ganz interessiert.« Sie schien sich an etwas
zu erinnern. »Wo haben Sie eigentlich Ihre Kinder gelassen?«
Leo wollte schon abwinken,
doch ihr Blick ließ ihn innehalten. »Falls Sie noch mal eine
Tasse Tee für mich haben, erzähle ich es Ihnen.«
*
Leo hatte den Mantel
ausgezogen und an einen Haken gehängt. Er rückte flüchtig
die Krawatte zurecht und schob sich das dunkle, wellige Haar aus der
Stirn. Nur einmal hatte er bisher in dem winzigen, engen Hinterzimmer
gesessen. Es war drei Monate her, damals hatte er gerade einen Fall
abgeschlossen und Clara Bleibtreu von dem dramatischen Ausgang erzählt.
»Haben Sie sich von der
Verletzung erholt?«, fragte sie gerade, und Leo zuckte ein wenig
zusammen, weil er mit seinen Gedanken woanders gewesen war.
»Ach so, ja, die ist längst
verheilt«, sagte er entschuldigend.
»Sie sehen aus, als hätten
Sie etwas auf dem Herzen.« Sie stellte ihm Tee und die Zuckerdose
hin. »Falls Sie möchten, höre ich zu. Das kann ich gut.«
Plötzlich empfand er
eine ungeheure Ruhe, am liebsten hätte er gar nichts gesagt und
einfach nur dagesessen. Auch über Ilse und Bruno Schneider
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