Tod in Blau
wollte er
auf einmal nicht mehr sprechen. Er trank einen Schluck Tee, stützte
die Ellbogen auf die Knie und sagte nachdenklich: »Ach, ich bin
gerade zu der Ansicht gelangt, dass ich lieber über Bücher reden
würde. Oder über Sie.«
Clara lächelte
verhalten. »Da gibt es nicht viel zu erzählen, über mich,
meine ich. Über Bücher könnte ich mich stundenlang
unterhalten.« Sie stand auf, verschwand kurz im Laden und kehrte mit
einem Buch in einem auffallenden hellblauen Umschlag mit weißer
Schrift zurück.
Leo las den Titel: »
Ulysses, by James Joyce. Davon habe ich noch nie gehört.«
»Es ist auch neu, erst
im Februar in Paris erschienen. In Amerika hat man es schon verboten, als
es dort in Fortsetzungen veröffentlicht wurde.«
»Weshalb?«,
fragte Leo und schlug das Buch auf.
»Wegen Obszönität«,
sagte Clara lächelnd. »Ein Ire hat es geschrieben, viele halten
es für vollkommen unlesbar, einige wenige für eine literarische
Revolution. Es wird sich zeigen, wer recht hat.«
»Können Sie das
alles verstehen?«, fragte Leo beeindruckt, als er die eng bedruckten
englischen Seiten betrachtete.
Clara schüttelte den
Kopf. »Leider nicht, da muss ich wohl auf die Übersetzung
warten, falls sich überhaupt jemand daranwagt. Ich habe es aus einem
Impuls heraus bei Shakespeare & Company in Paris bestellt und mich
fast ruiniert. 150 Franc habe ich dafür bezahlt, das war schon die
billigste Ausgabe. Die ersten hundert Exemplare hat der Autor selbst
signiert, die kosteten sogar 350 Franc.
Kennen Sie das Gefühl, etwas haben zu wollen, selbst wenn Sie es
vielleicht gar nicht gebrauchen können?«
Leo überlegte. »Nicht
unbedingt. Aber vor einer Weile habe ich ganz impulsiv ein Bild gekauft,
weil ich es unbedingt haben wollte. Wahrscheinlich hätte ich sogar
das Doppelte bezahlt, wenn die Galeristin es verlangt hätte. Es hängt
jetzt in meinem Büro.«
»Dann muss ich wohl
irgendwann einmal den weiten Weg zum Alexanderplatz machen und es mir
ansehen.«
Sie unterhielten sich
vollkommen zwanglos über Bücher und Bilder, als würden sie
einander ewig kennen, während draußen der Wind den Regen an die
Fensterscheibe peitschte. Als Leo schließlich aufstand und nach
seinem Mantel griff, meinte er, eine leichte Enttäuschung in Clara
Bleibtreus Gesicht zu erkennen. Mit neuem Schwung ging er nach vorn in den
Laden und zog das Buch von Heinrich Mann aus dem Regal. »Das hätte
ich gern, falls Sie sonntags Geschäfte machen. Leider habe ich kein
Geld dabei. Kann ich bis zum nächsten Mal anschreiben lassen?«
Clara lächelte und
tippte sich an die Stirn. »Steht alles hier drin.«
5
November 1922
Ihr Schrei hing noch in der
Luft, als Thea Pabst sich träge zu Arnold Wegner drehte und ihn aus
halb geschlossenen Augen ansah. Dann stützte sie sich auf den
Ellbogen und fuhr ihm sacht mit der Hand über die Wange. »Warum
sind unattraktive Männer oft so gute Liebhaber?«
Ohne im geringsten gekränkt
zu sein, antwortete Wegner gelassen: »Weil sie es nötiger haben
als die Apollos.« Thea lachte und stand auf. Der Kohleofen
verbreitete eine solche Hitze, dass sie nackt durchs Atelier schlendern
konnte, ohne zu frieren. Wegner schaute sie vom Bett aus bewundernd an.
Ja, ihr Bild würde schön werden, dachte er und sah hinüber
zu der Staffelei mit dem noch unfertigen Porträt. Er arbeitete sehr
intensiv daran, sie sahen sich im Augenblick fast jeden Tag.
Es zeigte Thea nicht ganz
nackt, sondern in ihrem Inflationskostüm, wenngleich es mehr enthüllte
als verbarg. Als Hintergrund hatte er ein warmes Rot gewählt, vor dem
ihr honigblondes Haar regelrecht leuchtete. Sie stand auf Zehenspitzen,
den Körper leicht nach hinten geneigt, die Arme in die Höhe
geworfen, sie glich einem lebendigen Bogen.
Theas Porträt zu malen
bereitete ihm Freude und Genuss, war eine Arbeit, die ihm leicht von der
Hand ging. Das andere Bild, mit dem er sich gerade beschäftigte, war
den dunkleren Stunden vorbehalten, wenn er allein im Atelier war und mit
der Dämmerung die Erinnerungen heranrückten.
»Was ist denn das hier?«,
fragte sie und zeigte auf eine Leinwand, die in der Ecke lehnte.
Wegner setzte sich abrupt im
Bett auf. »Das nicht«, rief er, »das ist noch ganz am
Anfang.«
»Ach komm, lass es mich
anschauen«, sagte sie schmeichelnd, »es sieht interessant
Weitere Kostenlose Bücher