Tod in Blau
Bild wird nicht
furchtbar, sondern wunderschön, ich habe die Entwürfe gesehen.
Es ist, als hätte er - eine Art drittes Auge, mit dem er mehr sieht
als andere. Das einen durchdringt. Ich werde es dir zeigen, sobald es
fertig ist.«
»Pervertiert und
geschmacklos«, sagte Richard, als hätte er ihre Worte gar nicht
zur Kenntnis genommen. »Eine Orgie der Hässlichkeit. Er suhlt
sich geradezu in allem, was verkommen und undeutsch ist. Neulich war ich
mit einem Bekannten auf einer Vernissage - Freunde hatten mich mitgenommen
-, und ich bemühte mich, höflich zu bleiben. Aber dann konnte
ich meine Meinung doch nicht für mich behalten, so scheußlich
waren diese Machwerke. Alte, Kranke, Verstümmelte, Gestalten, die
niemand sehen möchte. Nackte Kriegskrüppel, die ihre Blöße
mit verbeulten Stahlhelmen bedecken, ich bitte dich.«
Zwar fühlte sich Thea
nicht bemüßigt, den einen Geliebten vor dem anderen in Schutz
zu nehmen, wohl aber den Künstler, der ein so wunderbares Porträt
von ihr erschaffen würde. »Arnold malt auch schöne Dinge -
mich zum Beispiel.« Sie sah Richard herausfordernd an. »Und
Blumen.«
»Die haben die
Impressionisten auch gemalt und weitaus besser als er. Nein, ich finde,
Wegner beschäftigt sich nur mit der unerfreulichen Gegenwart, mit dem
Elend auf den Straßen, das wir alle zur Genüge kennen. Das will
doch niemand auch noch in der Kunst sehen.«
Sie überlegte, ob sie
sich wirklich auf diese Diskussion einlassen sollte. Wegner war ein anständiger
Mensch, selbst wenn ihre Loyalität nicht so weit ging, dass sie ihm
deswegen treu geblieben wäre. Was er wohl auch nicht von ihr
erwartete, immerhin war er verheiratet und schien eine Trennung von seiner
Frau auch nicht in Betracht zu ziehen. Zudem konnte ihr ein Mann wie
Richard äußerst nützlich sein, denn er kannte Berlin und
unterhielt ausgezeichnete Beziehungen bis in die höchsten Kreise.
Zwar war er, entgegen seiner eigenen Meinung, kein sonderlich guter
Liebhaber, aber sie ließ es ihn nicht spüren. Sie wollte seine
Eifersucht nicht zu sehr anfachen.
»Ich könnte mir
vorstellen, dass er schlimme Erinnerungen an den Krieg hat und sie damit
überwinden will.«
Richard trank einen großen
Schluck Champagner und berührte ihre nackte Brust mit dem kalten
Glas. »Ich kenne aber keine Kriegsbilder von ihm, nur Straßenszenen
aus Berlin und irgendwelchen halbseidenen Lokalen. Einfach billig. Und
selbst wenn er Kriegsbilder malte, würden sie gewiss nicht den
heldenhaften Kampf unserer deutschen Soldaten und Offiziere zeigen,
sondern irgendwelche abartigen Gestalten, die es nicht wert sind, eine
feldgraue Uniform zu tragen.« Er versank in missmutiges Schweigen.
Thea stützte sich auf
den Ellbogen und schaute ihn prüfend von der Seite an. Sie musste seine
schlechte Laune rasch vertreiben.
Sie stellte das Glas weg und
legte die Hand auf seine Brust. »Letztens habe ich in einem Buch
über altindische Liebeskunst geblättert…«
*
»Schon wieder ein neuer
Reichskanzler«, meinte Walther kopfschüttelnd und ließ
seine Zeitung sinken. »Frei nach dem Motto: Wer will noch mal, wer
hat noch nicht?«
»Den wievielten haben
wir jetzt? Nummer fünf?«, fragte Berns. »Und alle gleich
schlecht. Demnächst fahren wir das Geld mit der Schubkarre in die Bäckerei.
Dann wiegen die Scheine mehr als das Brot, das man dafür bekommt.«
»Immer noch besser als
Münzen«, sagte Fräulein Meinelt und spannte mit
energischem Dreh ein neues Blatt in die Schreibmaschine.
»Hat einer von Ihnen
etwa noch Münzen? Die taugen doch nur noch zum Einschmelzen«,
warf Lauterbach sarkastisch ein.
Da ging die Tür auf und
Leo Wechsler trat ein, worauf Walther rasch seine Zeitung zusammenfaltete
und in der Schreibtischschublade verschwinden ließ. Leo blickte
auffordernd in die Runde. »Und? Habe ich die Herren bei einem
interessanten Gespräch gestört? Wie stehen die Sportwetten,
Robert?«
»Nein, nein, Herr
Kommissar, wir sprachen über das neue Kabinett«, erklärte
Fräulein Meinelt beflissen.
Ȇberlassen wir
die Politik den Stammtischen, dort wird genug geredet. Im Übrigen
interessiert es mich nicht sonderlich, ob der Reichskanzler Wirth, Cuno
oder Klawuttke heißt«, meinte Leo und unterdrückte ein
Grinsen. »Kommen Sie bitte mit in mein Büro, meine Herren.«
Sie schauten einander an,
folgten ihm nach
Weitere Kostenlose Bücher