Tod in Blau
sich um. Das
Wetter war nasskalt, der Verdächtige würde das Haus kaum so bald
wieder verlassen, und er sehnte sich nach einem warmen Getränk. Gegenüber
entdeckte er ein altes Café mit schön geschliffenen
Fensterscheiben.
Während von Malchow die
heimelige Wärme genoss und bedächtig in einem großen
Kaffee mit viel Zucker rührte, fiel es ihm ein. Er setzte sich
ruckartig auf, der Löffel fiel klirrend auf die Untertasse.
Er kannte die Frau aus Leo
Wechslers Wohnung.
9
»Heute Nachmittag? Gut,
das ist mir recht«, sagte Elisa Reich wein. »Ich bin gespannt,
Herr Wechsler.«
Leo hängte ein. Auf dem
Tisch türmten sich der Inhalt des Wäschekorbs, den Stahnke und
Berns aus Wegners Wohnung geholt hatten, sowie die Sachen, die er selbst
mitgenommen hatte. Viel hatte die Durchsuchung nicht ergeben. Anscheinend
hatte sich der Maler ungern von Dingen getrennt, denn sie fanden Unmengen
alter Rechnungen und Notizzettel, die nie und nimmer irgendeine Bedeutung
besitzen konnten. Zudem machte Wegners ausgesprochen unleserliche Schrift
die Prüfung schwierig und ermüdend. Leo hatte mehrere
Kriminalassistenten damit beauftragt, die private Korrespondenz zu
studieren, doch auch diese hatte bisher nichts ergeben, das auf
Feindschaften oder Rivalitäten hindeutete.
In einer Mappe fand Walther
ein altes Tagebuch, dessen schwarzer Ledereinband fleckig und abgenutzt
war. Er schlug es auf und versuchte, die Daten zu entziffern. »Hier,
Dezember 1914, Januar 1915, scheint eine Art Kriegstagebuch zu sein. Aber
ich will verdammt sein, wenn ich diese Klaue entziffern kann.«
Leo zog das Tagebuch zu sich
heran und schaute kopfschüttelnd hinein. Dann blätterte er bis
zum Ende der Einträge. »August 1916, damit hört es auf.
Das ist über sechs Jahre her. Falls Wegner sich damals einen Feind
gemacht hat, muss der sich seine Rache ganz schön aufgespart haben.«
»Sie ist ein Gericht,
das am besten kalt genossen wird, hab ich mal irgendwo
gelesen«, meinte Walther. »Aber ich verspreche mir auch nicht
viel von dem Tagebuch.«
Leo griff zu der Liste, die
Nelly Wegner ihnen übergeben hatte. Eine lange Reihe von Namen mit
kurzen erklärenden Anmerkungen: Freunde, Auftraggeber, Kunsthändler,
Galeristen, Kritiker, einige Namen kamen Leo bekannt vor. Dann zog er
verwundert die Augenbrauen hoch und deutete auf einen Namen ziemlich weit
unten.
Walther beugte sich vor und
pfiff durch die Zähne. »Thea Pabst, Tänzerin, Modell und
Geliebte. Das ist kurz und bündig.«
»Angeblich waren es
mehrere«, meinte Leo. »Aber sie wird als Einzige so ausdrücklich
erwähnt. Sie könnte womöglich die schöne Frau auf dem
Porträt gewesen sein.«
»Hm, ja, seine aktuelle
Muse«, sagte Walther und biss wieder in seine Schrippe. Das Frühstück
war lange her. »Mal was anderes. Ich werde aus der Wegner nicht
richtig schlau. Sie sieht so zerbrechlich aus, aber ich habe das Gefühl,
in ihr steckt ein Kern aus Stahl.«
»Ich dachte, du glaubst
ihr.«
Walther wiegte den Kopf.
»Als ich ihr persönlich gegenüberstand schon. Aber diese
lapidare Feststellung: Tänzerin, Modell und Geliebte, die gibt mir zu
denken. Passt irgendwie nicht zu der Frau.«
»Na ja, bei wem fügt
sich schon alles harmonisch zusammen? Wir sind ein Bündel
widerstreitender Eigenschaften, die nur durch Disziplin kontrolliert
werden«, sagte Leo nachdenklich.
»Das musst gerade du
sagen«, lachte Walther. Es war bekannt, dass Leos Gefühle
bisweilen mit ihm durchgingen.
Leo schob seinen Stuhl zurück.
»Weil du so nett zu mir bist, hast du das große Los gezogen.
Einen Nachmittag mit der bezaubernden Thea Pabst. Ich bin geradezu
neidisch.«
»Woher willst du
wissen, dass sie so bezaubernd ist, wie sie aussieht, falls es denn ihr Porträt
ist? Und sollten wir nicht mit Nelly Wegner anfangen? Ihr noch mal auf den
Zahn fühlen?«
»Sei froh, dass du
nicht wie Stahnke und Berns die Fingerabdrücke abgleichen musst«,
sagte Leo. Diese Arbeit war mühsam und nicht sehr beliebt. »Bis
jetzt konnten sie nur die von Wegner und seiner Frau sicher
identifizieren.«
Er griff zum Telefonhörer.
»Wechsler hier. Verbinden Sie mich bitte mit der Redaktion der
Zeitschrift Die Moderne. -Dann finden Sie die Nummer. - Gut, ich warte.«
Er sah Robert an. »Ich versuche, für heute Mittag ein Treffen
mit diesem Salomon zu arrangieren. Er steht weit
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