Tod in Blau
oben auf Frau Wegners
Liste. Und danach gönne ich mir etwas Angenehmes. Viel Vergnügen
auch bei der schönen Tänzerin. Und denk dran, ihre Abdrücke
zu nehmen.«
»Wie war das doch
gleich mit der Disziplin?«, knurrte Walther.
Leo hatte Glück. Alfred
Salomon, Gründer und Herausgeber der Zeitschrift Die Moderne, war
bereit, ihn um halb eins in seinem Büro am Hausvogteiplatz zu
empfangen. Leo war etwas erstaunt über die Adresse im
Konfektionsviertel, dem Zentrum des Berliner Modehandwerks. Als er vor dem
Haus stand, entdeckte er jedoch, dass in dem prächtigen Gebäude
auch das Damenmodehaus Hermann Salomon & Cie. residierte. In der hohen
Eingangshalle, deren Decke sich in der Unendlichkeit zu verlieren schien,
wurde er von der Empfangsdame in den dritten Stock geschickt, wo Alfred
Salomon ihn in einer Zimmerflucht mit weitem Ausblick über die Dächer
Berlins begrüßte.
Sein taubenblauer Anzug
wirkte exzentrisch, beinahe zu elegant und erinnerte an die Dandys des
vergangenen Jahrhunderts. Er trug einen gepflegten Spitzbart und eine
goldene Brille, die ganz vorn auf der Nasenspitze balancierte.
Die Wände waren mit
gerahmten Titelbildern aller Ausgaben der Zeitschrift Die Moderne bedeckt,
die Salomon seit 1910 herausgab. Die ersten Hefte
waren noch vom Jugendstil inspiriert, eine verschnörkelte Blumenranke
wand sich als Rahmen um Titel und Inhaltsverzeichnis. Die jüngeren
Ausgaben arbeiteten mehr mit Fotografien, Karikaturen und Abbildungen
zeitgenössischer Gemälde.
Salomon kam Leo mit
ausgestreckter Hand entgegen und wies auf die Wand. »Meine ganz persönliche
Galerie. Damit ich weiß, wohin seit zwölf Jahren mein Geld fließt.
Und manchmal auch das meiner Brüder«, sagte er und deutete mit
einem feinen Lächeln nach unten, wo sich die Geschäftsräume
der Firma befanden. »Aber nehmen Sie doch Platz, Herr Kommissar.
Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«
Leo nahm dankend an, worauf
Salomon eine Flügeltür öffnete und mit jemandem im
Nebenzimmer sprach. Kurz darauf brachte eine junge Frau ein Tablett mit
silberner Kanne, Tassen, Zucker und Milch. Nachdem sie eingeschenkt hatte
und wieder gegangen war, lehnte sich Salomon mit übergeschlagenen
Beinen im Sessel zurück und legte die Fingerspitzen aneinander.
»Was kann ich für Sie tun? Sie sagten, es gehe um Wegner?«
Leo nickte. »Ja. Wie
Sie vielleicht wissen, wurde er tot in seinem Atelier aufgefunden. Ein
Brandfall.«
»Und was haben Sie als
Kriminalbeamter damit zu tun?«, fragte der Kritiker interessiert.
»Die Ursache des Feuers
ist noch nicht geklärt, ein Verbrechen kann nicht ausgeschlossen
werden. Daher ermitteln wir auch im Umfeld des Toten.«
»Ich habe früher
viel über ihn geschrieben, wir waren miteinander befreundet.
Allerdings hatten wir in der letzten Zeit keinen Kontakt mehr«,
sagte Salomon bedächtig. »Seit etwa zwei Jahren, wenn ich mich
recht entsinne.«
»Wie kam es dazu?«
»Nun, Arnold war nicht
empfindlich gegenüber Kritik, solange sie aus den konservativen
Kreisen kam, die er persönlich verachtete. Meine
Meinung hingegen lag ihm am Herzen, und als ich ihm sagte, dass ich viele
seiner Werke für Effekthascherei hielt, fühlte er sich persönlich
angegriffen.«
»Und wie haben Sie das
gemeint?«, fragte Leo nach.
»Ich war der Ansicht,
dass seine Darstellung des Obszönen und Widerwärtigen zum
Selbstzweck wurde, zum Vehikel, um Skandale zu erzeugen, statt tiefer in
die Persönlichkeit der Porträtierten einzudringen. Das hat er
nicht verwunden.«
»Verstehe. Sind Sie
sich danach noch öfter begegnet?«
»Ja, bei
gesellschaftlichen Anlässen, aber er hat nicht mehr mit mir
gesprochen. Was ich bedaure, denn wir haben früher anregende Gespräche
geführt. Und er hat vor allem nicht verdient, so zu sterben.«
»Lud er Gäste zu
sich nach Hause oder ins Atelier ein?«
»Nein, sein Atelier war
tabu, darin war er sehr eigen. Es war ihm und seinen Modellen vorbehalten,
er feierte keine Atelierfeste, wie es bei anderen Künstlern üblich
ist.«
»Kannten Sie seine
Frau?«, fragte Leo.
»Nur flüchtig. Sie
ging selten in Gesellschaft, Arnold und ich trafen uns meist bei mir oder
in Restaurants. Ich erinnere mich allerdings an eine Vernissage, bei der
sie zugegen war. Sie stand die ganze Zeit in einer Ecke, drehte ihr Glas
in den Händen und schaute zu Arnold hinüber. Er
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