Tod in Blau
sieht es mit den Befragungen im Umfeld des Ateliers aus?«
Stahnke holte ein zerdrücktes,
in Leder gebundenes Notizbuch aus der Tasche, ein berüchtigtes
Exemplar, in dem nur er sich zurechtfand. Er befeuchtete den Daumen, blätterte
um und räusperte sich. »Den Jungen haben wir bis jetzt nicht
gefunden. Der Wedding ist eine arme Gegend, da gibt es viele zerlumpte,
zurückgebliebene Kinder. Aber wir suchen weiter. Wir haben uns zunächst
auf die Straßen in unmittelbarer Nähe der Rehberge beschränkt
und weiten die Suche jetzt in alle Richtungen aus.«
»Schulen, Ärzte, Läden,
Werkstätten, vielleicht hilft er irgendwo als Laufbursche aus«,
schlug Leo vor. »Wir müssen ihn finden, egal wie.
Ich sehe zu, dass man uns noch drei weitere Leute genehmigt. Sie fangen
schon mal an.«
Stahnke und Berns nickten und
standen auf. Als sie den Raum verlassen hatten, warf Walther ihm einen
fragenden Blick zu. »Es kann doch kein Zufall sein, dass uns dieser
von Mühl schon wieder über den Weg läuft.«
Leo antwortete mit einem
Achselzucken. »Er war mir genauso unsympathisch wie beim letzten
Mal, aber ich fürchte, wir haben nicht mehr gegen ihn in der Hand als
einige geschmacklose Äußerungen über Wegners Kunst. Wir können
natürlich überprüfen, ob schon einmal gegen seinen
seltsamen Verein ermittelt wurde. Andererseits kann ich mir nicht
vorstellen, dass er einen Maler umbringt, nur weil er dessen Bilder
dekadent findet.«
»Denk an Erzberger und
Rathenau, Leo. Die wurden auch aus keinen besseren Gründen ermordet.
Vielleicht gehen sie jetzt auf Künstler los, die nicht in ihr
Weltbild passen.« Doch Walther spürte, dass Leo nicht richtig
auf diese These ansprang, und wechselte das Thema. »Soll ich noch
mal mit Frau Wegner sprechen und mir eine Liste sämtlicher Bilder
geben lassen, die augenblicklich angeboten werden?«
»Tu das, aber zunächst
hörst du dich bitte im Haus um und befragst die Nachbarn. Ich werde
den Anwalt aufsuchen, bei dem Wegner das Testament aufgesetzt hat. Bis
nachher.«
*
Dr. Stadler nickte bedächtig
und schlug die lederne Aktenmappe mit der Aufschrift »Testament
Arnold Wegner, Mai 1921« auf. Dann sah er Leo Wechsler fragend
über seine Lesebrille hinweg an.
»Sie möchten also
wissen, was die Witwe zu erwarten hat?«
»Sie bringen es sehr
schön auf den Punkt, Herr Dr. Stadler«, sagte Leo, der
langwierige juristische Erläuterungen befürchtet hatte.
Der Anwalt räusperte
sich und schaltete die Schreibtischlampe ein, die das düstere
holzvertäfelte Büro in ein angenehm warmes Licht tauchte. Es war
eine altehrwürdige Kanzlei, deren Wände mit Ölporträts
und gerahmten Urkunden geschmückt waren. Moderne Malerei durfte man
hier wohl kaum erwarten.
»Nun, die Sache stellt
sich im Grunde recht einfach dar. Der Erblasser hat sein gesamtes Vermögen
seiner Frau Nelly vermacht. «
Das klang nicht sehr
ermutigend. Leo hatte gehofft, Hinweise auf Dritte zu erhalten, die womöglich
von Wegners Tod profitieren würden. »Was können Sie mir
sonst noch über Herrn Wegners Nachlass mitteilen? Worin besteht er
genau, wie viel ist er wert?«
»Das ist nicht so
einfach zu beziffern.« Der Anwalt nahm ein loses Blatt zur Hand, auf
dem eine Zahlenkolonne zu erkennen war. »Die Wohnung in der
Hochmeisterstraße ist gemietet. Das Atelier in den Rehbergen wird
wohl demnächst abgerissen, da dort ein Volkspark angelegt wird, und
die Erbin erhält eine Entschädigung, die allerdings nicht
besonders hoch ausfallen dürfte. Weiterer Immobilienbesitz ist nicht
vorhanden. Ferner gibt es ein Sparkonto, dessen Stand sich auf etwas
über fünftausend Mark beläuft, in heutiger Zeit ein
geradezu lächerlicher Betrag. Dann wäre da noch die Einrichtung
der Wohnung, die Sie sicher schon gesehen haben.«
Leo nickte. Das alles klang nüchtern
und geschäftsmäßig, die einzigen wirklichen Anhaltspunkte
waren die Bilder. »Wie sieht es mit den Werken aus, die noch zum
Verkauf angeboten werden?«
Der Anwalt holte eine weitere
Liste hervor. »Ich gestehe, dass ich kein Kunstkenner bin, Herr
Kommissar. Es handelt sich um insgesamt dreizehn Gemälde mit den
folgenden Titeln. « Er schob Leo die Liste hinüber.
1. Sommerwiese, Aquarell auf
Leinwand, 1910
2. Stillleben mit Fischen,
Öl auf Leinwand, 1911
3. Elternhaus, Aquarell, 1911
4. Mutter mit Tulpen,
Weitere Kostenlose Bücher