Tod in Blau
durfte er ja auch mal eine
Frage stellen.
»Hast du ihn denn lange
gekannt?«, erkundigte er sich vorsichtig.
Der Mann schaute ihn
nachdenklich an. »Ja. Vielleicht hast du mich ja sogar mal bei ihm
gesehen?«
Paul schüttelte den Kopf
und sah aus dem Fenster. Plötzlich wollte er nicht mehr hier sein.
Der Mann sah ihn irgendwie seltsam an, und die Erinnerung an den Maler
wollte er mit niemandem teilen. Auf einmal war er froh, wenigstens das
Bild im Kaninchenstall zu haben, auch wenn es ihm nicht sehr gefiel.
»Ich muss nach Hause,
meine Eltern machen sich Sorgen.«
»Wo wohnst du denn?«
»Du kannst mich da vorn
an der Ecke rauslassen, es ist nicht mehr weit.«
Der Wagen rollte an einer grünen
Pumpe vorbei, an der einige Frauen beim Wasserholen plauderten, und hielt
ein Stück weiter hinter einer Litfaßsäule an, von der schöne
Damen lächelten.
Paul stieg aus und wollte
gehen, doch der Mann rief ihm etwas nach. Er drehte sich unsicher um. Wenn
der Vater ihn nun hier entdeckte? Zögernd kehrte er zum Wagen zurück.
»Eins noch - ich würde
an deiner Stelle lieber nicht herumerzählen, dass du den Maler
gekannt hast. Die Polizei sucht nach dem, der ihm das angetan hat. Sie
reden mit allen, die ihn gekannt haben. Sie glauben, dass er ermordet
wurde, ist das nicht schlimm?« Er ließ seine Worte wirken.
»Gut, dass uns keiner gesehen hat, dann stellt auch niemand dumme
Fragen. Jetzt haben wir ein Geheimnis, ja?« Der Mann drückte
ihm einen Geldschein in die Hand. »Kauf dir was Schönes. Oder
deiner Mutter.«
Paul nickte, spürte das
knisternde Papier in seiner Hand. Er wagte nicht hinzusehen. So viel hatte
er bestimmt noch nie besessen. Doch während er den Schein noch mit
den Fingern streichelte, überkam ihn eine neue Angst. Der Vater
traute ihm nicht, der würde ihn glatt für einen Dieb halten. Er
ging mit schlurfenden Schritten weiter, ohne nach links oder rechts zu
sehen, bis er wieder in seinem Kiez war. Mit alter Gewandtheit glitt er in
die vertraute Durchfahrt, huschte zum Kaninchenstall im zweiten Hof,
öffnete die knarrende Stalltür und kroch hinein. Den Geldschein
steckte er in die alte Kaffeedose, in der er seine Schätze
aufbewahrte, und tastete unter dem Stroh, bis er das Blatt gefunden hatte.
Er roch an dem Papier, als
berge es noch eine flüchtige Erinnerung an seinen Freund. Paul
glaubte, etwas Säuerliches zu riechen wie Wein, dazu
einen Hauch von Tabak und Schokolade.
Er hielt das Blatt ans Licht,
blinzelte prüfend. Und dann sah er die Ähnlichkeit, eingebildet
vielleicht, doch er spürte sie wie einen Stein, der tief in seine
Brust sank.
13
Welch ein Unterschied zu
Elisa Reichweins Galerie, dachte Leo Wechsler, als er am Samstagmorgen die
Kunsthandlung Schuster in der Carmerstraße betrat. Das elegante
Stadthaus lag nahe des Savignyplatzes. Drinnen wirkte alles altehrwürdig,
man atmete förmlich den Staub, der sich trotz sorgsamer Pflege auf
den alten Meistern sammelte. Dunkle Holztäfelung, Samtportieren,
knarrende Dielen, zwei ältere Damen in hochgeschlossenen Kleidern,
die an die Mode der Vorkriegszeit erinnerten. Eine trug ein Lorgnon an
einer Goldkette um den Hals. Leo sah sich verwundert um. Was hatten Bilder
von Arnold Wegner in dieser konservativen Umgebung zu suchen?
Doch dann fiel ihm ein, dass
Wegner nicht nur seine skandalösen Porträts gemalt hatte. Er
erinnerte sich an das Bild mit dem üppig blühenden Garten, der
das verzerrt wirkende Elternhaus des Künstlers umgab. Und bei dem mit
»Paul« betitelten Werk, von dem er sich einige Aufschlüsse
erhoffte, handelte es sich laut Aufstellung um eine Tuschezeichnung.
»Was kann ich für
Sie tun?«, fragte eine wohlklingende Stimme. Eine der älteren
Damen war unauffällig neben ihn getreten.
Leo nahm den Hut ab. »Sind
Sie die Inhaberin?«
Sie schüttelte
bescheiden den Kopf. »Nein, Herr Schuster befindet sich zurzeit in
Italien auf Einkaufsreise. Fräulein Sommerfeld und ich vertreten ihn.
Mein Name ist Adele Kaufmann.«
»Kommissar Wechsler,
Kriminalpolizei. Ich ermittle im Mordfall Arnold Wegner.«
Sie blieb völlig ungerührt
und sah ihn mit höflichem Bedauern an. »Eine traurige
Geschichte. Im eigenen Atelier verbrannt. Allerdings ist mir neu, dass es
sich dabei um einen Mord handeln soll. Ich hielt es für einen Unglücksfall.«
Leo betrachtete ein
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